Neue ESC-Flaggenregeln sorgen für Kritik

Regenbogenfahnen gehören zum Eurovision Song Contest (ESC) wie Feuerfontänen und Windmaschinen. Für den am Dienstag im schweizerischen Basel mit dem ersten Halbfinale beginnenden ESC ist das Zeigen der Flaggen auf der Bühne ab diesem Jahr aber für die Künstler verboten – das ist eine Änderung im Regelwerk des Musikwettbewerbs. Für das Publikum werden allerdings andere Regeln gelten.

Bei seinem Sieg im schwedischen Malmö trat der nicht binäre Künstler Nemo in der Schweiz mit einer Nonbinary-Flagge auf. Das ist jetzt verboten, die Europäische Rundfunkunion (EBU) erlaubt den Künstlern nur Auftritte mit ihrer offiziellen Landesflagge. Verstoßen sie dagegen, drohen Strafen bis hin zur Disqualifikation.

Die EBU reagiert mit der verschärften Flaggenregel offenkundig auf den ESC im vergangenen Jahr in Malmö, der von heftigen politischen Debatten, hauptsächlich wegen des Vorgehens Israels im Gazastreifen, begleitet war. Die neue Flaggenrichtlinie soll dafür sorgen, dass die Künstler politische Botschaften vermeiden – das gilt auch für die Pressekonferenzen während des mit dem Finale am Samstag kommender Woche endenden ESC. Damit fallen allerdings auch Signale für LGBTQ+-Solidarität unter den Tisch.

»Eurovision braucht keine Flagge, um seine Verbundenheit mit der LGBTQ+-Gemeinschaft zu demonstrieren und zu feiern«, verteidigte ESC-Direktor Martin Green die Entscheidung. »Man muss die Show nur sehen, die Teilnehmer sehen und hören, worüber sie singen.« Pink Cross, eine Schweizer Gruppe für die Rechte von Schwulen und Bisexuellen, zeigte sich enttäuscht über die Entscheidung. »Die Eurovision ist eine Feier der Solidarität und Toleranz und hat eine lange Geschichte der Unterstützung von LGBTQ+-Rechten«, sagte deren Generalsekretär Roman Heggli. »Das Flaggenverbot ist ein Schlag ins Gesicht.«

Fürs Publikum auch palästinensische Flaggen erlaubt

Gleichzeitig hat die EBU versucht, die Regeln fürs Publikum klarer zu gestalten, nachdem die Nonbinary-Flaggen mehrerer Besucher vergangenes Jahr beschlagnahmt worden waren. Dieses Jahr darf das Publikum hingegen mit allen nach Schweizer Gesetzen zulässigen Flaggen erscheinen. Damit sind Medienberichten zufolge auch palästinensische Fahnen erlaubt.

Die Teilnahme Israels am ESC ist der deutlich umstrittenere Streitpunkt. Das Land wird von Yuval Raphael vertreten, einer Überlebenden des Hamas-Angriffs vom 7. Oktober 2023, bei dem 1200 Menschen getötet wurden.

Israels Militäraktion im Gazastreifen hat seither mehr als 50.000 Palästinenser getötet. Die israelische Regierung hat jetzt eine neue Großoffensive angekündigt, mit dem Ziel, den gesamten Gazastreifen zu besetzen. In mehreren Teilnehmerländern des ESC wurden deshalb Stimmen laut, die Israels Teilnahme am Wettbewerb infrage stellten.

In einem offenen Brief haben sich über 70 ehemalige ESC-Teilnehmer gegen die Teilnahme Israels ausgesprochen, darunter auch der Ex-Sieger Salvador Sobral aus Portugal. Palästinensische Organisationen und Menschenrechtsgruppen in der Schweiz haben sich ebenfalls gegen die Teilnahme Israels ausgesprochen und werfen der EBU vor, mit zweierlei Maß zu messen.

»Russland wurde nach seiner Invasion in der Ukraine von der Eurovision ausgeschlossen, aber Israel darf weiterhin teilnehmen, obwohl es im Gazastreifen einen Völkermord begeht«, sagte Geri Müller, Präsidentin der Vereinigung Swiss Palestine. Israel hat solche Anschuldigungen wiederholt zurückgewiesen.

Die EBU teilte mit, dass Israel zum Wettbewerb zugelassen wurde, weil das Land durch die öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt KAN und nicht durch seine Regierung vertreten wurde. Die KAN reagierte nicht auf eine Bitte um Stellungnahme durch Reuters.

Eurovisionsdirektor Martin Green sagte, der Wettbewerb könne trotz der politischen Unruhen die Verbundenheit fördern und ein »momentaner Raum der Freude und des Eskapismus« sein.

»Ich hoffe, dass die Eurovision in diesem Jahr das tut, was sie in den vergangenen 69 Jahren getan hat, nämlich zeigen, dass Musik uns zusammenbringen kann«, sagte Green gegenüber Reuters. »Ich weiß, das klingt kitschig, aber das ist der Zweck des Wettbewerbs.«