Mit ’ner kalten Pizza Funghi rein, mit ’ner frischen Million raus
Zuerst die gute Nachricht: Es gibt staatliche Institutionen, die digitalisierungsmäßig ganz vorn sind. Etwa die Bundesdruckerei in Berlin. Jedenfalls sagt in diesem »Tatort« der IT-Styler bei der Kripo, der in einem dunklen Kämmerlein vor seiner Rechnerwand sitzt und mit Fast-Glatze Hair-Metal-Opern nachjault, zu einer der Ermittlerinnen: »Wenn jemand in diesem Land die Digitalisierung nicht verschlafen hat, dann ist das die Bundesdruckerei.« Soll heißen: Das Haus des Geldes, wo die Banknoten für die Bundesbank gedruckt werden, lässt sich nicht so leicht hacken.
Und jetzt die schlechte Nachricht: Analog lässt sich in so einer Bundesdruckerei trotzdem allerlei krimineller Unfug treiben.
In diesem steil konzipierten und inszenierten Hauptstadt-»Tatort« geht der Unfug so: Geflüchtete aus Venezuela heuern bei einem Lieferdienst an, um mittels Essenslieferungen an die hungrigen Security-Leute hinter den Sicherheitsschranken zu kommen. In ihren großen, auf den Rücken geschnallten Warmhalteboxen nehmen sie dann offenbar retour – Kontaktleuten innerhalb der Behörde machen es möglich – frisch gedruckte Geldnoten oder Dokumente mit vor die Tür. Mit 'ner kalten Pizza Funghi rein, mit 'ner frisch gedruckten Million raus?
Wo aus Papier Geld wird
Anfänglich glaubt man, in einer »Tatort«-Variante des einstigen Netflix-Serienhits »Haus des Geldes« gelandet zu sein. Denn wie in dem spanischen Heist-Thriller geht es ja um die perfekt orchestrierte Unterwanderung jenes Ortes, wo aus Papier Scheine werden. Allerdings gibt es eben auch den sozialpolitischen Subtext.
Kurz nach dem Intro werden wir Zeuge, wie einer der Food-Rider auf seinem Bike überfahren wird. Der Autofahrer flüchtet. Cheetas heißt das Lieferunternehmen, dessen Name wohl nicht umsonst Assoziationen mit dem inzwischen eingestellten, dubiosen Berliner Lebensmittelabwerf-Start-up Gorillas weckt. Susanne Bonard (Corinna Harfouch) und Robert Karow (Mark Waschke) kriegen bei ihren ersten Recherchen die üblichen Missstände präsentiert: Fahrer, die es auf aberwitzige Wochenarbeitsstunden bringen. Fahrer, die ohne oder mit gefälschten Papieren das Essen ausliefern. Die volle Dröhnung Tech-Ausbeutung.
Regie bei diesem etwas anderen Themenkrimi führte Torsten C. Fischer, der davor den bissigen Kölner »Tatort« über Göttinnendämmerung in der Schlagerbranche inszeniert hatte. Das Drehbuch stammt von Dagmar Gabler, die zuletzt den Münchner »Tatort« über eine blutig aus dem Ruder laufende Nato-Übung lieferte. Schon der passte vor dem Hintergrund der neuen Herausforderung des transatantischen Bündnis in die unmittelbare Gegenwart. Auch der aberwitzig zugespritzte neue Berliner »Tatort« fügt sich nun unerwartet in die Zeitumstände ein.
Angesichts der verschärften Migrationsdebatte bekommt der Geflüchteten-Aspekt eine besondere Note. Denn wer prägt denn das von Friedrich Merz offenbar als problematisch empfundene »Stadtbild« mehr als alle anderen: Lieferfahrer aus asiatischen und lateinamerikanischen Ländern, die unter zum Teil haarsträubenden Bedingungen ihre Schichten abreißen müssen. In dem neuen Berliner Fall sind das vor allem Leute aus den, wie es im Film heißt, »Slums von Caracas«.
Die Handlungsfäden dieses ambitionierten Thrillers schlackern zuweilen gefährlich, aber die Grundkonstellation hat trotzdem eine herrlich sarkastische Wucht: Die vor der Armut Geflüchteten schleusen sich genau dort ein, wo hierzulande der Reichtum aufs Papier gebracht wird.
Bewertung: 7 von 10 Punkten
»Tatort: Erika Mustermann«, Sonntag, 20.15 Uhr, Das Erste
Szene mit Ajay Paul und Corinna Harfouch: Die volle neoliberale Dröhnung Tech-Ausbeutung
Foto: Hardy Spitz / rbb