Wo Regenbogenfahnen neben Hakenkreuzen geschwenkt werden
In den heißen Tagen der Coronapandemie hatte man ja annehmen können, wir lebten in einem riesigen ideologischen Schmelztiegel. Rechte Verschwörungsmystiker skandierten ihre Sprüche Seite an Seite mit radikalisierten Homöopathen, QAnon-Anhänger trommelten mit linken Selbstversorgern. Der neue Wiener »Tatort«, der mutmaßlich in diesen heißen Coronatagen entwickelt wurde, greift nun fast lustvoll die diffuse weltanschauliche Gemengelage auf. Es geht um eine neue militante Protestbewegung, die Polizei und Verfassungsschutz vor sich hertreibt.
Manchmal erklingt in diesem Krimi im Hintergrund traurig eine akustische Gitarre, wenn die zuständigen Ermittler das Chaos in Worte zu fassen versuchen. Sie sagen dann zum Beispiel: »Junge Mütter demonstrieren mit ihren Kindern zwischen Hooligans und irgendwelchen Regenbogenfahnenschwenkern.« Hakenkreuz und Gay Pride – übertreibt der Beamte in seiner Überforderung nicht ein bisschen?
Nun hat diese neue Wiener Melange die ganze Stadt in den Ausnahmezustand versetzt. 1200 Beamte sind im Einsatz, es kommt zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. Die Polizei fährt das große Besteck auf. Pfefferspray, Tränengas, Schlagstöcke. Im Getümmel stirbt ein junger Demonstrant, erste Einschätzung aus der Gerichtsmedizin: »Letale Kopfverletzung.«
Korpsgeist bei der Polizei
Im Einsatzzentrum kommt es zu heftigen Auseinandersetzungen. Eisner (Harald Krassnitzer) und Fellner (Adele Neuhauser) rücken den Polizisten und Polizistinnen auf die Pelle: Ist einem Uniformierten die Sicherung durchgebrannt? Die Beamten und Beamtinnen scheinen im Korpsgeist zusammengeschweißt zu sein und verweisen mit schneidiger Stimme auf die Größe der Proteste: »40.000 Teilnehmende!«
Gendern im Kasernenhofton, das hat man so auch noch nicht gehört.
Für Drehbuch und Regie dieses sich hochaktuell und blitzbrisant gebenden »Tatorts« zeichnet Rupert Henning verantwortlich. Er hat bereits einige Wien-»Tatorte« gedreht, in denen mit zugespitzten Dialogen und Handlungswendungen echte oder vermeintliche Zeitphänomene ins Visier genommen wurden. Henning inszenierte etwa die Episode über gestresste Generation-Y-Vertreter, die in krassen Insta-Aktionen ihre Überforderung kundtaten.
Die »Reichsbürger« lassen grüßen
Im neuen »Tatort« geht es zum Teil ebenfalls um junge, gebildete Menschen. Sie scheinen auf den ersten Blick eher dem linken Milieu zugetan, allerdings hassen sie ihre bürgerlichen Eltern und den angeblich sie bevormundenden Staat so sehr, dass sie sich einer Untergrundorganisation anschließen, die »Reichsbürger«-ähnliche Strukturen aufweist.
Am Anfang bezieht der Krimi seine Spannung noch aus der Frage, von wem hier die Gefahr für die Demokratie und ihre Institutionen ausgeht: von dieser neuen, unübersichtlichen Terrorgemeinschaft, die keine gemeinsamen Ziele hat, außer den verhassten Staat zu zerstören? Oder von einem Polizeiapparat, der sich in der Überforderung durch diese Terrorgemeinschaft selbst radikalisiert hat?
Die Antwort wird recht zügig geliefert, die Integrität der Uniformierten steht schnell außer Frage. Auch der Verfassungsschutz leistet im Film gute Arbeit. Seine Repräsentanten haben das Durcheinander und Miteinander der unterschiedlichen Staatsfeinde genau im Blick, neigen aber angesichts der unauflöslichen Lage zu einer gewissen Launigkeit. In einer Suada beschreibt einer der Verfassungsschützer gegenüber Eisner, wie schwer es ist, die neuen Radikalen durch ihre politische Herkunft auseinanderzuhalten. Er sagt: »Die jeweilige Ideologie ist nur noch der Schnittlauch obendrauf.«
Könnte es sich da nicht um einen gefährlichen Irrglauben, um eine unbewusste Verharmlosung der politischen Gegenwart handeln? Vor dem Hintergrund, dass Österreichs Demokratie zurzeit von eindeutig extremen rechten Kräften in die Zange genommen wird und der deutsche Verfassungsschutz die AfD als gesichert rechtsextrem eingeschätzt hat , ist die Sache mit dem ideologischen Schnittlauch jedenfalls ein arg verniedlichendes Bild.
Bewertung: 3 von 10 Punkten
»Tatort: Wir sind nicht zu fassen!«, Sonntag, 20.15 Uhr, Das Erste
Szene mit Christina Scherrer und Harald Krassnitzer: Die Integrität der Uniformierten steht außer Frage
Foto: Petro Domenigg / ORF / ARD