„Wir müssen mit der Ukraine über den Winter kommen“ : Warum Merz bei Russlands eingefrorenen Milliarden Druck macht
Es ist nur ein kurzer Zwischenstopp, den Friedrich Merz in Berlin einlegt. Nach seiner Rückkehr am Sonntagabend aus Israel besteigt er am Montag in der Früh gleich wieder einen Regierungsflieger, der ihn nach London bringen soll.
Nun, da sich die politischen Ereignisse rund um die Ukraine zuspitzen, stimmen sich die sogenannten „E3“-Staaten – Deutschland, Frankreich und Großbritannien – mit dem aus Kiew anreisenden Präsidenten Wolodymyr Selenskyj ab.
Deutschland ist nicht völlig außen vor. Immerhin durfte Merz’ außenpolitischer Berater Günter Sautter kürzlich in Genf dabei sein, als die USA mit EU-Staaten und der Ukraine über ihren 28-Punkte-Friedensplan verhandelten. Die entscheidenden Gespräche aber finden derzeit allein zwischen Unterhändlern der USA und Russlands statt. In London wollen die Europäer besprechen, wie ein Diktatfrieden über ihre Köpfe und die der Ukrainer hinweg verhindert werden kann.
Eine immer größere Rolle spielt für den Kanzler die künftige Finanzierung der Ukraine. Wäre die EU unabhängig von den USA in der Lage, die notwendigen Waffen zu kaufen, befände sie sich in einer besseren Verhandlungsposition.
Weil die größte finanzielle Last inzwischen ohnehin bei den Europäern liegt und Deutschland in absoluten Zahlen der stärkste Unterstützer der Ukraine ist, hat Merz seine ursprünglichen Bedenken gegen einen Kredit aus eingefrorenem russischen Vermögen über Bord geworfen.
Die Zeit wird knapp für eine Lösung
Der Countdown dafür läuft: Am 18. Dezember soll auf dem EU-Gipfel einstimmig die weitere Finanzierung der Ukraine beschlossen werden, damit sie sich auch unter wachsendem militärischen Druck gegen Russland wehren kann – das ist Merz’ erklärtes Ziel. „Was wir jetzt entscheiden“, schrieb der Kanzler im Zusammenhang mit dem Vorhaben, „entscheidet über Europas Zukunft.“
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Der Zeitdruck ist groß. „Wir müssen jetzt mit der Ukraine über den Winter kommen. Dafür brauchen wir Mittel“, sagte Merz vor Kurzem in Berlin. „Wir brauchen aber auch Mittel, um die Ukraine in diesem schrecklichen Krieg möglicherweise für längere Zeit weiter zu unterstützen.“
Denn so viel auch über Frieden geredet werden mag, im Kanzleramt schätzt man die Bereitschaft von Kremlherrscher Wladimir Putin dazu als sehr gering ein. Man will auch für eine sehr viel längere Kriegsdauer gewappnet sein.
Umstritten ist weniger das Ob – den Handlungsdruck bestreitet auf EU-Ebene kaum jemand – als das Wie: Russische Vermögen in Höhe von insgesamt 210 Milliarden Euro in der EU, die nach der Invasion der Ukraine im Februar 2022 eingefroren wurden, sollen als eine Art vorgezogener Reparationszahlung für die Ukraine genutzt werden – in Form eines Darlehens.
Die EU-Kommission hat einen Vorschlag unterbreitet, wonach Kiew 2026 und 2027 insgesamt 90 Milliarden bekäme, den Rest später, je nach Bedarf. Merz ist der Antreiber in der Sache. Er demonstriere „jene Führungsstärke, die Europa so dringend braucht“, lobte der frühere litauische Außenminister Gabrielius Landsbergis.
Seit vielen Wochen wirbt der Kanzler für die Nutzung der „frozen assets“, wie sie im EU-Jargon genannt werden. Die meisten Mitgliedstaaten hat er gemeinsam mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, seiner CDU-Parteifreundin, inzwischen überzeugt.
Nicht zuletzt die Tatsache, dass US-Präsident Donald Trump in seinem Friedensplan einen Teil dieser Vermögenswerte für die Vereinigten Staaten reklamiert, hat viele Mitgliedstaaten überzeugt, vorher selbst tätig zu werden für die Ukraine.
Die Bedenken gegen die Nutzung der russischen Vermögen hatten Merz und die Bundesregierung selbst lange vertreten, davor schon die Ampel unter SPD-Kanzler Olaf Scholz. Genau wie die Europäische Zentralbank wies die Regierung darauf hin, dass die Finanzstabilität und der Ruf der Eurozone bei internationalen Anlegern leiden könnten. Unter dem Druck der Ereignisse schwenkten sowohl die EZB als auch Merz um.
Neben sicherheitspolitischen Fragen spielen auch parteipolitische Überlegungen eine Rolle für den CDU-Chef. Die alternativ von der EU-Kommission vorgeschlagenen Eurobonds, also neue Gemeinschaftsschulden, dürfte Merz in seiner Unionsfraktion kaum durchbekommen. Dort ist die großzügige Lockerung der Schuldenbremse direkt nach der Bundestagswahl bis heute nicht ganz verdaut.
Das meiste russische Geld lagert in Brüssel
Wer bisher bei der Nutzung russischer Vermögenswerte nicht mitmachen will, ist der belgische Premierminister. Für ihn warf der Kanzler eigens seinen Terminkalender um: Statt nach Norwegen reiste er am Freitag nach Brüssel für ein Abendessen mit Bart De Wever.
Dessen Land steht im Fokus, weil ein Großteil des russischen Geldes in der Hauptstadt Brüssel lagert, auf den Konten des Unternehmens Euroclear, einer sogenannten Verwahrstelle. De Wever befürchtet, dass Rückzahlungsforderungen vor Gericht Erfolg haben könnten, weil das Geld auf gewisse Weise konfisziert, also enteignet würde.
Merz und von der Leyen versuchten ihn mit dem Argument zu überzeugen, dass aus dem Vermögen über ein kompliziertes Rechtskonstrukt nur ein Darlehen abgesichert werden soll.
Merz sagt Belgien teilweise Haftungsübernahme zu
Einig wurde man sich nur, dass man sich bis zum 18. Dezember einig werden will. Eine zentrale Forderung aus Belgien will der Bundeskanzler auf jeden Fall erfüllen. „Die besondere Betroffenheit Belgiens“ in der Frage sei „unbestreitbar“, sagte Merz nach dem Treffen mit De Wever. Diese müsse „in jeder denkbaren Lösung so adressiert werden, dass alle europäischen Staaten dasselbe Risiko tragen“.
Merz brachte also eine teilweise Haftungsübernahme ins Spiel. Dass Deutschland damit stärker haften würde, als es den Summen entsprechen würde, die in der Bundesrepublik lagern, soll mit Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) und den Koalitionsfraktionen bereits abgestimmt sein.