„Ich überlasse das nicht dem Arbeitsministerium“: Merz macht Reform des Bürgergeldes zur Chefsache
Die Reform des Bürgergelds wird nach Angaben von Bundeskanzler Friedrich Merz nicht im Arbeitsministerium, sondern von den Spitzen der schwarz-roten Koalition vorbereitet. „Ich überlasse das nicht dem Arbeitsministerium oder anderen Stellen in der Regierung“, sagte der CDU-Vorsitzende beim Verband der Chemischen Industrie (VCI) am Mittwochabend in Berlin.

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„Wir lassen es nicht auf der Fachebene, sondern wir diskutieren es auf der politischen Ebene und machen einen Top-Down-Ansatz“, fügte der Kanzler hinzu. Dies sei vielleicht ungewöhnlich für einen Gesetzgebungsvorgang. Aber man wolle sich erst politisch über die Formulierungen „bis hart an die Gesetzessprache heran“ einigen, bevor man die Ministerialbürokratie einschalte, sagte der Kanzler.
Wenn erst einmal etwa aufgeschrieben sei, sei es viel schwerer, noch etwas zu ändern, sagte Merz zur Begründung. „Wir bemühen uns darum, dieses komplexe System, das uns jetzt 50 Milliarden Euro kostet, so zu ändern, dass wir nicht nur Geld sparen können, sondern dass wir den Arbeitnehmern in Deutschland die Botschaft geben: Es lohnt sich, arbeiten zu gehen.“
Die Diskussionen mit der SPD seien schwierig, was er auch verstehe. „Wir stellen im Augenblick die Erfindung der Sozialdemokraten im Bürgergeld infrage“, sagte er. Es komme zudem „das Trauma“ hinzu, dass die SPD mit der früheren Hartz-4-Reform habe. Er bedauere, dass die Sozialdemokraten bis heute fälschlicherweise annehmen würden, die Agenda 2010 sei der Grund für ihren Niedergang.
Eine Reform des Bürgergelds ist zwischen CDU/CSU und SPD verabredet. Für die Union ist dies ein Symbolthema, auch wenn etwa Merz mittlerweile deutlich niedrigere Summen nennt, die man durch eine Reform einsparen könne. SPD-Chefin und Arbeitsministerin Bärbel Bas hat etwa mehr Härte gegen Arbeitsverweigerer unter den Bürgergeld-Empfängern angekündigt.
Merz sieht Wirtschaftsstandort unter Druck
Den Wirtschaftsstandort Deutschland sieht Merz unter Druck. „Es ist nicht fünf vor zwölf, es ist eine Minute nach zwölf“, sagte der CDU-Vorsitzende. „Wir müssen aufholen, wir müssen schneller werden, wir müssen besser werden.“ Der Standort Deutschland sei zu teuer und zu langsam. Konkurrenten vor allem in den USA und Asien könnten zu deutlich günstigeren Konditionen produzieren als in Deutschland.
Das Land müsse so aufgestellt werden, dass sowohl die Sicherheit in Deutschland und in Europa als auch die Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandorts gewährleistet sei – und zwar für die nächsten Jahrzehnte. „Das geht nicht über Nacht“, sagte Merz. Er sprach von einem Reformstau. International gebe es tiefgreifende Umbrüchen.
Merz sagte, die Bundesregierung habe bereits eine ganze Reihe von Entscheidungen für einen notwendigen Neustart in der Wirtschaftspolitik getroffen. Er nannte steuerliche Entlastungen, eine Senkung der Energiepreise und Maßnahmen für weniger Bürokratie. Er dränge aber in der Koalition für schnelle, weitere Entscheidungen.
Merz will mehr Einfluss auf die EU nehmen
Der Kanzler will zudem deutlich in die Arbeitsweise der EU eingreifen. Er habe mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron, der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni „und vielen anderen“ verabredet, „dass wir jetzt viel stärker aus dem Europäischen Rat heraus tätig werden und die Kommission auffordern, bestimmte Dinge zu tun“, sagte Merz. „Oder noch besser: bestimmte Dinge zu unterlassen“, fügte er mit Blick auf den nötigen Abbau der Bürokratie in der EU hinzu. Vorhaben, die dort immer noch auf den Schreibtischen liegen, dürften nicht einfach weiterentwickelt werden.
Es ist nicht fünf vor zwölf, es ist eine Minute nach zwölf.
Bundeskanzler Friedrich Merz
Als Beispiele nannte Merz etwa die EU-Richtlinie zur Unternehmens-Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) oder die EU-Vorgaben, dass neu zugelassene Autos ab 2035 emissionsfrei sein müssen. Es dürfe in der EU kein Verbot der sogenannten Range Extender kommen, forderte Merz. Range Extender sind kleine Verbrennungsmotoren in E-Autos, die Strom für die Batterie liefern können. Man werde beim informellen EU-Gipfel in Kopenhagen kommende Woche darüber sprechen.
Ein Problem in der EU sei im Unterschied zu Deutschland, dass laufende Gesetzesvorhaben am Ende einer Legislaturperiode nicht einfach annulliert würden, sondern die EU-Kommission unabhängig von politischen Richtungswechseln einfach weiter an Richtlinien arbeite. Der Abbau der EU-Bürokratie sei neben der Senkung der Energiepreise und Steuern sehr wichtig, betonte auch VCI-Präsident Markus Steilemann. Merz versprach den Unternehmen, dass in den kommenden eineinhalb Jahren in Deutschland 25 Prozent der Vorschriften abgebaut würden.
Merz forderte die Manager zudem auf, direkten Einfluss auf die Europaabgeordneten zu nehmen, damit diese sich auch im Europaparlament (EP) für einen Bürokratieabbau in der EU einsetzten. Er habe mit dem spanischen Ministerpräsidenten Pedro Sanchez verabredet, dass beide auf die jeweiligen konservativen und sozialistischen Fraktionen im EP in diesem Sinne Einfluss nehmen wollten. (Reuters/dpa)