TV-Kritik zu „Hart aber fair“: Frei und Miersch verteidigen die Koalition – doch das Hauptthema ist ein anderes
Ganze 17 Wochen dauerte die Sommerpause von „Hart aber fair“. ARD-Moderator Louis Klamroth kehrt mit hochkarätiger Besetzung zurück ins Studio. „Sozialstaat zu teuer: Bullshit oder bittere Wahrheit?“, fragt er diese Gäste:
- Thorsten Frei (CDU), Kanzleramtschef
- Matthias Miersch, SPD-Fraktionsvorsitzender
- Ricarda Lang, Grünen-Bundestagsabgeordnete
- Katja Kipping, Geschäftsführerin Paritätischer Gesamtverband
- Stella Pazzi, Unternehmerin
- Marcus Weichert, Geschäftsführer Jobcenter Dortmund
Lange Gesichter bei der Wahlanalyse
Auch wenn es an diesem Abend um den Sozialstaat gehen soll, nutzt Klamroth die – zumindest für seine Sendung – ungewöhnlich hohe Dichte an Bundespolitikern für eine Analyse der Kommunalwahlergebnisse in NRW. Es wird ein Einstieg, der tief blicken lässt.
Insbesondere die SPD musste am Wahlsonntag Federn lassen, landesweit kam sie nur auf 22,1 Prozent der Stimmen. SPD-Fraktionschef Matthias Miersch blickt zwar anfangs grimmig in die Kamera, sein Schock scheint sich aber in Grenzen zu halten.
In den Ergebnissen sieht er einen Aufruf der Wähler. „Reißt euch zusammen und handelt jetzt endlich“, so habe er es bei vielen Begegnungen zu hören bekommen, erzählt Miersch.
Nach Wahlen kündige die Politik stets an, jetzt endlich zu liefern, stellt der Moderator fest: „Funktioniert ja nicht, seit Jahren.“ Doch selbst Klamroths Hinweis auf Gelsenkirchen, einst Hochburg einer stolzen SPD und nun beinahe von der AfD erobert, kann den SPD-Fraktionschef nicht sichtlich erschüttern.
„22 Prozent, Herr Miersch, das ist das schlechteste Ergebnis seit 1945 für die SPD“, sagt Klamroth entsetzt. „Moment!“, setzt Miersch zur Verteidigung an: Noch in dieser Woche werde die Regierung „das erste Mal ein riesiges Investitionspaket auf den Weg bringen“.
Das werden die Wähler „hoffentlich dann in den nächsten Jahren auch sehr schnell merken“, glaubt Miersch. Interessant, welche Zeitspanne der SPD-Fraktionschef „sehr schnell“ findet.
Ricarda Lang fühlt sich an die Ampel erinnert – mit Taylor Swift
Bei Thorsten Frei (CDU) ist es dasselbe Spiel. Der Kanzleramtschef sitzt neben Miersch, anfangs vor einem Studiohintergrund voll blauer AfD-Fahnen (eine bemerkenswerte Kulissenwahl). Er fragt den Moderator ernsthaft: „Finden Sie, dass wir eine schlechte Performance haben?“ Die Rede ist nicht von NRW, wo die CDU glimpflich davongekommen ist, sondern von der Arbeit der Koalition.
Wenn 75 Prozent der Bürger mit ihrer Regierung unzufrieden sind, sollte man meinen, dass der Politikprofi Frei zumindest eine gewisse Bescheidenheit an den Tag legt. Von wegen. „Wir haben keine schlechte Performance“, behauptet er. Seine Erklärung gleicht jener von Miersch: Die bereits beschlossenen Gesetze müssten eben „ihre Wirkung noch entfalten“. Beide Koalitionspolitiker werden nicht müde zu betonen, dass man erst sehr kurz gemeinsam regiere.
Immerhin gesteht Frei ein: „Wir haben natürlich im Sommer auch den ein oder anderen Fehler gemacht.“ Aber die Liste der Errungenschaften von Schwarz-Rot, von der Einführung des nationalen Sicherheitsrats bis zur Senkung der Unternehmenssteuern, erscheint in seinen Erzählungen weitaus länger.
Er fühle sich an die Ampel-Zeit erinnert, sagt Klamroth. Da habe es auch immer geheißen, man habe so vieles gemacht, das werde schon irgendwann bei den Bürgern ankommen. „Kam es aber nicht“, bemerkt der Moderator.
Eigentlich wünschen sich die Menschen Ruhe und Stabilität, und die bekommen stattdessen Julia Klöckner und Markus Söder.
Grünen-Politikerin Ricarda Lang über Schwarz-Rot
Grünen-Politikerin Ricarda Lang pflichtet ihm mit einer musikalischen Referenz bei. „I think I’ve seen this film before / And I didn’t like the ending“ (zu Deutsch: Ich denke, ich habe diesen Film schon mal gesehen, und ich mochte das Ende nicht), zitiert sie die US-Sängerin Taylor Swift. Es sei wie bei der Ampel: Politische Differenzen würden mit Selfies und Teambuilding überdeckt, Konflikte öffentlich ausgetragen.

© Imago/HMB-Media/Uwe Koch
„Eigentlich wünschen sich die Menschen Ruhe und Stabilität, und die bekommen stattdessen Julia Klöckner und Markus Söder“, setzt die nie um einen Spruch verlegene Grünen-Politikerin eine der wenigen Pointen der Sendung. Dass ihre Partei der größte Verlierer bei den Kommunalwahlen in NRW ist, bleibt dabei unerwähnt.
Die alte Bürgergeld-Leier
Den Großteil der Sendung widmet Klamroth einer Diskussion über den Sozialstaat. Dieses Thema ist im angeblichen „Herbst der Reformen“ in Talkshows offenbar besonders angesagt. Dass über zentrale Herausforderungen wie eine Reform des Rentensystems dagegen überhaupt nicht gesprochen wird, ist mehr als enttäuschend.
Stattdessen leiert der Moderator wieder einmal endlose Bürgergeld-Diskussionen an, die ins Leere laufen. Dafür ist er sich nicht einmal zu schade, eine potenziell hochspannende Diskussion zwischen Frei und Kipping über Maßnahmen zur Senkung der Mietpreise zu unterbrechen. Was Millionen Deutsche tatsächlich in ihrem Alltag und Geldbeutel betrifft, so scheint es, interessiert den Moderator nicht sonderlich.
Man muss der Sendung zugutehalten, dass zumindest über Vermögensverteilung in Deutschland ausführlicher als anderswo diskutiert wird. Thorsten Frei hält von Änderungen an der Erbschaftssteuer wenig: „Wenn Sie mal in die letzten Jahre zurückschauen, dann hat man ewig und oft am Erbschaftssteuerrecht rumgedoktert. Es ist nichts Gutes dabei rausgekommen.“ Sein Parteifreund Jens Spahn schlug kürzlich ganz andere Töne an.
Das Schöne an „Hart aber fair“ sind die Impulse von Gästen aus der Praxis. Die Software-Unternehmerin Stella Pazzi ist in der Runde so etwas wie der FDP-Ersatz, und zwar im guten Sinne. „Wir haben so viel Geld wie noch nie zur Verfügung“, sagt Pazzi. Es gebe nicht nur Rekordsteuereinnahmen, sondern auch das Sondervermögen in Milliardenhöhe.
„Wie viel Geld wollen wir denn noch, und können wir es denn überhaupt dem Staat zumuten, dieses Geld zu verwalten?“, fragt sie. Es ist eine große, sicherlich unangenehme Grundsatzfrage, die Pazzi aufwirft. Nichtsdestoweniger hat sie ihre Berechtigung, gerade in dieser Talkshow. Eine ernsthafte Antwort erhält die Unternehmerin nicht.