Vormarsch der Rechtsextremen: Was tue ich, wenn die AfD an die Macht kommt?

Der Sommer 2025 wird mir als jener Sommer in Erinnerung bleiben, an dem ich abends häufiger auf fremden Balkonen saß und mit Menschen darüber sprach, wohin wir gehen, sollte in Deutschland die AfD an die Macht kommen.

Es wurden Länder erwogen und verworfen, Arbeitsplatzchancen erörtert und Menschen aufgezählt, die man auf keinen Fall zurücklassen möchte. Auch die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt war öfters Balkonthema.

In der Öffentlichkeit wird bislang kaum darüber gesprochen, was eigentlich konkret passiert, sollten in Deutschland Rechtsextreme in Regierungsverantwortung gelangen. Dabei ist die Frage, welche Folgen dieses Ereignis für das eigene Leben hätte, doch so zentral: Je nachdem, wie man sie für sich beantwortet, lässt sich die bis dahin verbleibende Zeit ganz unterschiedlich nutzen.

Sebastian Leber ist Tagesspiegel-Reporter. In seiner Kolumne beschäftigt er sich jede Woche mit einer Widrigkeit der Gegenwart. Sie können ihn auf Instagram sowie Bluesky erreichen.

Nein, niemand behauptet, wir hätten 1933. Aber dass die Brandmauer gegen die AfD bei der nächsten Bundestagswahl, also vermutlich 2029, noch steht, denke ich nicht. Dafür ist die Geschwindigkeit, mit der diese Partei trotz aller Expertenwarnungen immer weiter normalisiert wird, einfach zu hoch.

In meinem Freundes- und Bekanntenkreis gibt es auch Stimmen, die sagen: Sollte die AfD an die Macht kommen, bleiben wir erstmal und schauen. So schlimm werde es im Fall der Fälle schon nicht werden. Wir lebten schließlich in einer wehrhaften Demokratie, die AfD könnte also jederzeit wieder abgewählt werden...

Ich fürchte, diese Vorstellung ist nicht sonderlich realistisch. Der rasante Umbau der USA in einen autoritären Staat und der geringe Widerstand aus der dortigen Bevölkerung sprechen ebenfalls dagegen. Sollten es die Rechtsextremen in Deutschland tatsächlich an die Macht schaffen, wäre dies ohnehin ein starker Beleg dafür, dass unsere Demokratie eben gerade nicht so wehrhaft ist, wie gedacht.

Wie war das mit Ronald Schill?

Manche sagen: Wir haben schließlich auch Ronald Schill überlebt. So hieß der erste Rechtspopulist, der es in Deutschland auf Landesebene in Regierungsverantwortung schaffte. 2001 koalierte die Hamburger CDU mit ihm, machte Schill zum Zweiten Bürgermeister und Innensenator der Stadt. Es gab neue Polizeiuniformen und einige Skandale. Die Legislatur endete im Chaos.

Andere beschwichtigen: Die Bundesrepublik wäre ja nicht das erste europäische Land, in dem es Rechtsextreme an die Regierung geschafft haben. Und diese Länder existieren immer noch.

Ich finde beide Argumente wenig hilfreich. Schill trat mit einer planlosen Skandal-Truppe an und verhielt sich so unprofessionell, dass er sich selbst erledigte. Die AfD geht viel geschickter vor. Und während Rechtsextreme in den Niederlanden nicht direkt die gesamte Europäische Union lahmlegen, wäre dies sehr wohl zu befürchten, käme die AfD in Deutschland an die Macht. Genau aus diesem Grund haben die Maga-Bewegung, „Tech-Bros“ wie Elon Musk und auch das russische Regime so ein enormes Interesse daran, der AfD zum Erfolg zu verhelfen.

Winter is coming

Ich habe diesen Sommer mit vielen Menschen gesprochen, die sich vereinzelt und hilflos fühlen, überfordert und erschöpft. Die meisten können es nicht fassen, dass Schwarz-Rot weiterhin glaubt, Rechtsextreme durch gute Regierungsarbeit verzwergen zu können, obwohl die AfD bundesweit auf 25 Prozent geklettert ist.

Mitarbeiter großer deutscher Talkshows berichten davon, wie sehr ihre Redaktionen aus Angst vor dem nächsten rechten Shitstorm sich selbst zensieren und in vorauseilendem Gehorsam weniger kritisch über die AfD berichten, als es journalistisch angebracht wäre. Ein Freund sagt, falsch abgebogen seien wir allerspätestens vor sechs Jahren, als der WDR einem Shitstorm gegen das „Meine Oma ist ’ne alte Umweltsau“-Lied nachgab und der damalige Intendant sich nicht etwa vor seine Mitarbeiter stellte, sondern sich im Gegenteil öffentlich entschuldigte.

Die AfD hat angekündigt, Rache zu nehmen, sobald sie an der Macht ist.

Sebastian Leber

In der Union herrscht ebenfalls Panik vor jedem weiteren Shitstorm von Nius und Konsorten. Der Mitarbeiter eines Bundestagsabgeordneten fragt: „Warum haben wir Alexander Gauland damals nicht geglaubt?“ Der heutige Ehrenvorsitzende der AfD hatte 2017, nach dem erstmaligen Einzug seiner Partei in den Bundestag, öffentlich erklärt: „Wir werden sie jagen!“

Die AfD hat angekündigt, Rache zu nehmen, sobald sie an der Macht ist. Im Grunde ist dies ein Kernversprechen an ihre Wähler. Und sie wird den Staat brachial umkrempeln wollen. Björn Höcke schrieb, eine „neue politische Führung“ werde aller Voraussicht nach Maßnahmen ergreifen müssen, die „ihrem eigentlichen moralischen Empfinden zuwiderlaufen“. Man werde um eine Politik der „wohltemperierten Grausamkeit“ wohl nicht herumkommen.

Andere AfD-Funktionäre versprachen, ihre Gegner aufzuhängen oder zu erschießen. Im Gutachten des Verfassungsschutzes kann man das ausführlich nachlesen, doch leider haben dies bislang nur wenige getan.

Die Normalisierung der AfD zeigte sich in diesem Sommer auch darin, dass sich ein ernstzunehmender Teil der deutschen Öffentlichkeit ganz fürchterlich über die Störung des Sommerinterviews mit Alice Weidel aufregte, nicht jedoch über die Tatsache, dass der Moderator Weidels falsche Flüchtlingszahlen unkorrigiert ließ – und dass er es trotz sicher intensiver Vorbereitung für eine gute Idee hielt, windelweiche Fragen wie „Warum ist Ihnen Ehrlichkeit in der Politik so wichtig, Frau Weidel?“ zu stellen.

Dabei könnte der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk so viel beitragen zur Aufklärung über Ziele und Positionen der Rechtsextremen. Mit anderen Formaten tut er es auch. Diese Woche hat zum Beispiel der WDR-Journalist Martin Kaul seinen beeindruckenden Podcast „Hateland“ veröffentlicht. Darin präsentiert er die Ergebnisse seiner anderthalbjährigen Recherche in der Reichsbürgerszene.

Mehr Recherchen, weniger Kuscheln in Sommerinterviews. Und Rechtsextreme nicht aufwerten, indem man sie in Talkshows als Gesprächspartner auf Augenhöhe behandelt. Dass diese Maßnahmen sinnvoll wären, darüber waren sich meine Gesprächspartner auf den Balkonen weitgehend einig. Einer freute sich, dass zumindest der MDR auf sein Sommerinterview mit Höcke verzichtete.

Anlass zur Hoffnung gibt mir im Grunde nur die Zivilgesellschaft. Sie hat bereits zwei Mal gezeigt, dass sie sich die Demokratie nicht einfach nehmen lassen wird: Anfang 2024 als Reaktion auf die Correctiv-Recherchen und ein Jahr später, als Friedrich Merz seinen Tabubruch beging und auf Stimmen der AfD im Bundestag setzte. Ich bin sicher, dass es bis 2029 noch weitere Anlässe für Proteste geben wird und diese weitaus größer ausfallen werden.

Mit dieser Kolumne möchte ich ein kleines Experiment wagen. Ich würde von Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, sehr gern erfahren, ob Sie auch schon solche Gespräche geführt haben. Ich werde jeden Kommentar lesen und mitdiskutieren.