Dobrindt plant Verlängerung der Grenzkontrollen: „Erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit“
Wer derzeit nach Deutschland einreist, muss mit Kontrollen rechnen. Geht es nach Innenminister Alexander Dobrindt (CSU), wird das auch so bleiben. „Wir werden die Grenzkontrollen weiter aufrechterhalten“, sagte er beim Podcast „Table.Today“. Ursprünglich sollten die Kontrollen am 15. September auslaufen.
Ob das rechtlich zulässig ist, daran haben Juristen große Zweifel. „Es gibt hohe Hürden für die Verlängerung von Grenzkontrollen. Die sind nicht erfüllt“, sagt der Migrationsexperte Constantin Hruschka dem Tagesspiegel: „Die Verlängerung der Grenzkontrollen ist deshalb klar rechtswidrig.“

Constantin Hruschka ist Jurist und Experte für internationales und europäisches Migrationsrecht. Seit September 2024 ist er Professor für Sozialrecht an der Evangelischen Hochschule Freiburg.
Der Rechtswissenschaftler Winfried Kluth sagt: „Es bestehen erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit.“
Kontrollen nur bei Bedrohungen der öffentlichen Ordnung
Grundsätzlich gilt im Schengenraum Freizügigkeit. „Die Binnengrenzen dürfen unabhängig von der Staatsangehörigkeit der betreffenden Personen an jeder Stelle ohne Personenkontrollen überschritten werden“, heißt es in Artikel 22 des Schengener Grenzkodexes.
Nur unter ganz bestimmten Umständen dürfen EU-Mitgliedsstaaten zeitlich begrenzt an ihren Grenzen kontrollieren. Die rechtlichen Hürden dafür sind hoch.
Als Voraussetzung gilt, dass „die öffentliche Ordnung oder die innere Sicherheit in einem Mitgliedstaat ernsthaft bedroht“ ist. So steht es in Artikel 25 des Schengener Grenzkodexes. Als ernsthafte Bedrohung gelten etwa terroristische Vorfälle.
Seit einer Gesetzesänderung im vergangenen Jahr gilt auch eine außergewöhnliche Situation, „in der plötzlich eine sehr hohe Zahl unerlaubter Migrationsbewegungen von Drittstaatsangehörigen zwischen den Mitgliedstaaten stattfindet“, als möglicher Grund für Grenzkontrollen. Allerdings muss dafür ohne die Kontrollen das Funktionieren des Binnenraums „wahrscheinlich gefährdet“ sein.
Unter solchen „außergewöhnlichen Umständen“ dürfen Grenzkontrollen „als letztes Mittel“ wieder eingeführt werden, und zwar für maximal sechs Monate. Anschließend sind Verlängerungen möglich. Der betreffende Mitgliedsstaat muss die EU-Kommission über die Einführung und Verlängerung der Kontrollen in Kenntnis setzen.
Eine Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit
„Wir sind uns auch mit unseren europäischen Partnern einig darüber, dass das eine notwendige Maßnahme ist, bis der Außengrenzschutz funktionsfähig aufgebaut ist“, begründet Dobrindt die Verlängerung der Grenzkontrollen.
Man darf nicht sagen, wir kontrollieren weiter, weil die Kontrollen bisher gewirkt haben. Wenn die Migrationszahlen zurückgehen und die ernsthafte Bedrohung verschwindet, müssen die Kontrollen beendet werden.
Constantin Hruschka, Experte für Migrationsrecht.
Die Kontrollen seien „eines von mehreren Instrumenten der aktuellen Bundesregierung, um das irreguläre Migrationsgeschehen nach Deutschland zu reduzieren“, erklärt ein Sprecher des Bundesinnenministeriums auf Nachfrage: „Bundesinnenminister Alexander Dobrindt hat wiederholt deutlich gemacht, dass die Maßnahmen temporären Charakter haben.“
Schon Dobrindts Amtsvorgängerin Nancy Faeser (SPD) hatte Grenzkontrollen angeordnet und immer wieder verlängert. Wie aber kann es sein, dass die Kontrollen nicht nur in Deutschland längst zur Regel geworden sind?

Winfried Kluth ist Experte im Bereichs Migrationsrecht. Er hat eine Professur für Öffentliches Recht an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg inne.
„Wenn man sie so handhaben würde, wie es gesetzlich vorgesehen ist, dürfte es die deutschen Grenzkontrollen längst nicht mehr geben“, sagt Constantin Hruschka. Das häufig vorgebrachte Argument, durch die Grenzkontrollen würde die Zahl der irregulären Grenzübertritte sinken, sei nicht gültig, so der Professor: „Man darf nicht sagen, wir kontrollieren weiter, weil die Kontrollen bisher gewirkt haben. Wenn die Migrationszahlen zurückgehen und die ernsthafte Bedrohung verschwindet, müssen die Kontrollen beendet werden.“
Winfried Kluth äußert sich weniger deutlich. „Wir haben noch keine schriftliche Begründung der Bundesregierung, anhand derer man das prüfen könnte“, sagt der Professor.
„An einzelnen deutschen Grenzen finden allerdings schon seit Jahren Kontrollen statt, die rechtswidrig sind“, ergänzt er. Das belegt etwa ein Urteil des bayerischen Verwaltungsgerichtshofs aus dem März dieses Jahres zu Grenzkontrollen zwischen Österreich und Bayern.
Aus Brüssel muss Dobrindt keinen Gegenwind fürchten
Konkret folgt aus solchen Urteilen allerdings nichts. Zuständig für die rechtliche Beurteilung der Grenzkontrollen ist nämlich die EU-Kommission. „Aber im Asylbereich hat die EU-Kommission ihren Job als Hüterin der Verträge momentan ruhen lassen“, beklagt Hruschka.
Solange die Kommission jedoch kein Vertragsverletzungsverfahren gegen die betreffenden Mitgliedsstaaten auf den Weg bringe, werde sich an dieser Situation nichts ändern, erklärt Rechtswissenschaftler Kluth: „Die Kommission hat unter bestimmten Voraussetzungen auch die Möglichkeit, Strafzahlungen gegen Mitgliedsstaaten zu beantragen. Wenn sie das nicht tut, haben diese Länder nichts zu befürchten.“
Die EU-Kommission scheut sich, den Mitgliedsstaaten in der Migrationsfrage Druck zu machen. „Ich denke, solange die Freizügigkeit und der Warenhandel nicht zu sehr beeinträchtigt wird, hält sich die Kommission zurück“, sagt Hruschka. Eine Überlegung könnte sein, die Füße stillzuhalten, bis das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) greift.
Wird der Europäische Gerichtshof einschreiten?
Könnten Gerichte die Bundesregierung dazu zwingen, die Grenzkontrollen zu beenden? Dazu vertreten die beiden Experten unterschiedliche Ansichten. Hruschka sieht die Möglichkeit, dass deutsche Gerichte den Europäischen Gerichtshof (EuGH) anrufen, „damit er über die deutschen Grenzkontrollen urteilt“.
Winfried Kluth hat daran Zweifel: „Die Fachgerichte sagen, es ist alles geklärt durch den EuGH.“ Eine konkrete Entscheidung zu den deutschen Grenzkontrollen sei aus Luxemburg nicht zu erwarten.