Orgasmatronik für den Après-Sex-Rave

Album der Woche:

Eine Szene aus ihrem neuesten Video beschreibt vielleicht am besten, wie sich »Afterglow« von FKA twigs anfühlt: In dem Clip steht die britische Sängerin und Pop-Avantgardistin in einem sexy Cyberpunk-Outfit auf einer nächtlich-regennassen Großstadtstraße und wird von einem heranbrausenden Motorrad beinahe über den Haufen gefahren. In einem »Matrix«-haften Move schwingt sie sich auf den Sozius und klammert sich von hinten an die Person am Lenker, die sich ohne Helm als Doppelgängerin entpuppt.

Auf dem rasenden Bike vollführt FKA twigs also ein akrobatisches, sexuell aufgeladenes Ballett mit sich selbst. Es wird lustvoll geknurrt bei diesem autoerotischen Akt, schwarzes Motoröl fließt suggestiv wie Körpersäfte. Zum kaum verständlichen Autotune-Gesang zischelt und peitscht ein rasanter UK-Garage-Housebeat. »Predictable Girl« heißt der atemlose Song zum Video, aber als »vorhersehbar« erweist sich diese Künstlerin mal wieder überhaupt nicht.

Vor gerade mal zehn Monaten erschien mit »Eusexua« ein Album, das den elektronischen Sound der 37-jährigen Ex-Tänzerin Tahliah Debrett Barnett noch einmal sehr aufregend neu definierte. Es ging auf ihrem dritten Album um nichts Geringeres als die Auflösung des Körpers in Ekstase. »Eusexua« bezeichne einen Zustand der Euphorie, der so übermächtig sei, dass man das Gefühl habe, man würde die Form des eigenen Körpers transzendieren, erklärte Barnett damals ihre Wortneuschöpfung.

Ziel der Musik war es, das Gefühl kurz vor dem Höhepunkt beim Sex in Musik zu bannen. Seinen aufreizenden Rhythmus fand das Album in einem Auf- und Abwogen supersinnlicher Euro-Techno-Sounds, aus dem sich immer wieder tolle Pop-Harmonien und Hooks herauskristallisierten, zum Beispiel in Tracks wie »Girl Feels Good« oder »Perfect Stranger«.

Als FKA twigs im Sommer mit »Eusexua« auf Tournee ging, deutete sie an, dass es eine erweiterte Deluxe-Version des Albums geben könnte. Daraus ist nun »Afterglow« geworden, eine eigenständige Veröffentlichung mit elf neuen Stücken. Es ist weniger konzentriert und unter Spannung wie der Vorgänger, es klingt eher wie eine Playlist für einen Après-Sex-Rave, bei dem man die postkoitale Euphorie genüsslich auskostet und – tanzt. Als imaginären Ort für diese pornöse Innerspace-Session könnte man sich das komplett mit Flokati-Flausch ausgeschlagene Cockpit von Weltraum-Vamp Barbarella aus dem gleichnamigen Kinoklassiker vorstellen, das Musikgenre dazu wäre Orgasmatronik.

Durch dieses Kink-Ambiente pulsieren House-Banger wie »Love Crimes«, dessen ohnehin schon hohe Intensität nach knapp zwei Minuten noch mal mit einem Hi-Hat-Boost auf höheren Blutdruck gesteigert wird. »Slushy« illustriert danach einen psychedelischen Trance-Zustand, den man vielleicht erlangt, wenn man zu lange auf das Rühren und Rotieren einer dieser bunten Slush-Drinks-Maschinen starrt. Am Ende zersplattert alles in einem Highspeed-Drum’n’Bass-Finale.

Erotischer und musikalischer Höhepunkt des Albums ist »HARD«, in dem FKA twigs im flötenden, vielfach gefilterten Lolita-Gesang zum BDSM-Date auffordert: »If you gonna love me do it hard«. Dazu zuckt wild ein Elektro-Beat, grunzt und knurrt eine verfremdete Funkgitarre. Es ist, als träfen Daft Punk auf den synthetisch knisternden Achtzigerjahre-R&B von Jimmy Jam & Terry Lewis: New Sex Swing statt New Jack Swing.

Aus dem Hardcore von »HARD« wird der Zuhörer nach den ersten 30 Sekunden von »Cheap Hotel« erstmal runtergebremst, so wie FKA twigs im zugehörigen Kurzfilm-Video einfach mal das lesbische Party-Gefummel im Sex-Motel, in dem sie sich vergnügt, auf extreme Zeitlupe drosselt, um mal kurz zwischendurch neue Drinks zu holen.

Die Musik gerinnt dabei zu einem verschleppten, Melasse-zähen Hip-Hop-Beat, der wie eine Dosis Ketamin wirkt. Danach erhöht sich der Herzschlag des Songs wieder und will in die nächste Erregungsphase abheben, während FKA twigs mehrdeutig haucht: »Hold me down«. Fürs Runterkommen und Nachglühen ist sie aber ganz eindeutig noch zu high auf ihrem Karrierehöhenflug. (8.5/10)