Romeo und Julia in der Saumagenhölle

Eine Ansammlung farbloser Eigenheime, umrahmt von nicht mehr ganz korrekt gestutztem Grün. Nachbarn, die Schnaps in den Tee rühren, während sie die Familie gegenüber ausspähen. Ein graugesichtiges Ehepaar, das den Sohn mit seiner neuen Verlobten inmitten schwerer Vorhänge und gußeisern verzierter Türen am Sonntag zum Mittagessen empfängt. Das Ludwigshafen in diesem »Tatort« kommt daher, als sei der Ludwigshafener Helmut Kohl noch immer Bundeskanzler.

Hat da gerade jemand Saumagen in die Pfanne geworfen?

Lustvoll entwickelt der Krimi am Anfang das Setting eines in die Jahre gekommenen Spießerhausens, einer leicht vermoderten und verwunschenen Miniaturwunderlandausgabe des alten Westdeutschlands. Und wie das auch in »Tatorten« aus dieser Zeit war, taugt ein familiäres Zusammenkommen für das Sonntagsessen nur für drei Dinge: Stress, Hass, Mord.

So gerät der Spießervater (Bruno Cathomas), der selbstverständlich frühpensionierter Finanzbeamter ist, außer sich, als er hört, dass sein Sohn Mike (Jeremias Meyer) und dessen iranischstämmige Verlobte Nisha (Amina Meran) ein Kind erwarten. Ein ungeborgenes Familiengeheimnis scheint der Auslöser für den Ausraster zu sein. Über den Sonntagsbraten werden Drohungen und Beleidigungen ausgetauscht. Die Lage eskaliert, bis Mike und Nisha die Eltern mit Feuerhaken zu Klump schlagen. Weil die Szene in Zeitlupe abgespielt wird, bekommt der Gewaltakt etwas Ballettartiges.

Die Postmoderne lässt grüßen

Der Regieveteran Didi Danquart, der über die vergangenen Jahre immer mal wieder einen interessanten Film wie »Viehjud Levi« (1995, mit Bruno Cathomas in der Hauptrolle) gedreht hat, geht für sein Spätwerk sehr ambitioniert zur Sache. Wahrscheinlich zu ambitioniert.

Er will in der Ludwigshafener Spießerhölle eine Tragödie mit der Fallhöhe von Shakespeares »Romeo und Julia« erzählen – und es dann auch noch in poptaugliche Slowmotion-Ästhetik kleiden. Teilweise fühlt man sich an den New Yorker Pulp-Regisseur Abel Ferrara erinnert, der 1987 für seinen Film »Krieg in Chinatown«  ja ebenfalls schon mal »Romeo und Julia« als postmodernes Gewaltballett inszeniert hatte; bei ihm wurde die Liebesgeschichte vor dem Hintergrund von Bandenrivalitäten in Manhattans Lower Eastside ausgebreitet. Das hatte schon eine Wucht.

»Mike & Nisha«, wie die »Romeo und Julia«-Variation von Danquart und Drehbuchautorin Annette Lober betitelt ist, nimmt indes nie so richtig Fahrt auf. Das hat auch damit zu tun, dass der Film als Krimi überhaupt nicht funktioniert. Wie die beiden verliebten Kinder da unbehelligt die Eltern zurichten und die Leichen verklappen, während Nachbarn Böses ahnen und auch die Polizei vorbeischaut, ist unfreiwillig komisch. Auch dass Kommissarin Odenthal (Ulrike Folkerts) und ihr Kollegium mit Shakespeare-Reminiszenzen um sich schmeißen, macht die Geschichte nicht glaubwürdiger.

Wie ein Relikt aus den Achtzigern

Die postmoderne Zitierlust wirkt wie ein Relikt aus den Achtzigerjahren, als Filmemacher wie eben Abel Ferrara oder Luc Besson als Angriff auf das klassische Autorenkino poppig gestylte, referenzgesättigte Thriller inszenierten. Diese Art des polierten, aber psychologisch entkernten Erzählens wirkt heute mindestens so altbacken wie die Achtzigerjahre-Saumagenhölle, die Danquart für sein Ludwigshafener Familiendrama ins Bild gesetzt hat.

In einer Szene raunt Odenthal in Bezug auf die verdächtigen jungen Leute bedeutungsschwer: »Ein Liebespaar, vom Unstern schwer bedroht, Des traurig unglücksel'ger Untergang, Der Väter Hass aussöhnt in seinem Tod.« Der Revierpraktikant (Johannes Scheidweiler) pariert das »Romeo und Julia«-Zitat wenig später, indem er seine lange Mähne nach vorn wirft, sich galant verbeugt und ein weiteres Shakespeare-Bonmot dropt.

Als sich am Ende in einer Wendung der Geschichte das Familiengeheimnis lüftet, steht man erschöpft und ratlos da. Wie soll man mit dem Liebespaar mitleiden, wenn sich das Ermittlungsteam die ganze Zeit wie eine Laienspielgruppe durchs Shakespeare-Werk deklamiert und charmiert.

Bewertung: 3 von 10 Punkten

»Tatort: Mike & Nisha«, Sonntag, 20.15 Uhr, Das Erste

»Tatort«-Szene: Hat da gerade jemand einen Saumagen in die Pfanne geworfen?

Foto: Benoît Linder / SWR