Gerechtigkeit für Ostpreußen: Jochen Buchsteiner begibt sich auf die Spuren seiner Großmutter

Zwei Generationen nach „Zeit“-Chefredakteurin Marion Gräfin Dönhoff („Namen, die keiner mehr nennt“) hat sich wieder ein deutscher Journalist aufgemacht, eine inzwischen fast vergessene einstige deutsche Provinz in ihrer Tragik, Einzigartigkeit und Faszination zu porträtieren.

In seinem Buch „Wir Ostpreußen. Eine ganz gewöhnliche Familiengeschichte“ schildert Jochen Buchsteiner nicht nur sehr detailliert die dramatische Flucht seiner Großmutter, die im ostpreußischen Götzlack einen Gutshof betrieben hatte, nach Westen im Jahr 1945.

Das Buch

Jochen Buchsteiner: Wir Ostpreußen. Eine ganz gewöhnliche Familiengeschichte, dtv, München 2025. 288 Seiten, 26 €.

© dtv

Buchsteiner lässt mit der Beschreibung des Gutshofs auch eine agrarische Welt auferstehen, die längst vergangen ist und deren Schauplatz heute in der russischen Exklave Kaliningrad liegt. Und er skizziert unangestrengt, aber kundig die Geschichte und Kultur Ostpreußens, einer Provinz, die inzwischen oft nur noch als Hort des Militarismus und der politischen Reaktion abgetan wird.

Doch diese Provinz hat auch den Philosophen Immanuel Kant und den Romantiker E.T.A. Hoffmann hervorgebracht. Ostpreußen „war und blieb ein fast mythischer Ort, wie es im heutigen Deutschland keinen mehr gibt“, heißt es an einer Stelle.

Auch wenn der Autor bedauernd konstatiert, die Vertreibung der Deutschen führe in den historischen Museen unseres Landes ein „stiefmütterliches Dasein“, ist sein Buch frei von jeder apologetischen oder revisionistischen Tendenz.

Hier schreibt ein aufgeklärter Zeitgenosse, dessen Blick auf sein Heimatland nach zwanzig Jahren als Journalist im Ausland anders und erfrischend wirkt.

Allein der Satz, ohne den erbitterten Widerstand in Ostpreußen gegen die anrückenden Sowjets wäre die Rote Armee schon im März 1945 am Rhein gestanden (und der Großteil Deutschlands an sie gefallen), hinterlässt eine Leerstelle. Sicher hat dieser Widerstand vielen Deutschen aus Ostpreußen noch die Flucht ermöglicht und das Leben gerettet.

Doch es führt kein Weg vorbei an dem Urteil: Dieser Widerstand verteidigte nicht nur ostpreußische Zivilisten, sondern auch das Regime der Schoah, verhinderte etwa, dass Auschwitz vor dem 27. Januar 1945 befreit werden konnte. Auch das gehört zur Tragik Ostpreußens.

Aber das ändert nichts am Gesamturteil: Jochen Buchsteiner gelingt in seinem glänzend geschriebenen, unangestrengt gelehrsamen und anschaulichen Buch ein neuer Blick auf eine Familienerfahrung, die 14 Millionen andere Deutsche teilten und die dieses Land geprägt hat.

Mit seiner Schilderung der Flucht und seiner Erkundung zu Ostpreußen liefert er einen Beitrag, vielen von ihnen ihre Geschichte und ihre Würde zurückzugeben.