Der Wachstumsmotor des Hafens ist die Bahn
Mit der Welt-Finanzmarktkrise der Jahre 2008 und 2009 endete im Hamburger Hafen ein Boom bei den Containerverkehren, der mehr als 30 Jahre lang angedauert hatte. Die Gründe dafür waren und sind vielfältig: Die Linienführungen der Reedereien begünstigen heutzutage eher Nordseehäfen wie Antwerpen und Rotterdam, neue Wettbewerber wie Wilhelmshaven oder Danzig nehmen Hamburg Marktanteile ab, Hamburgs einst starker Außenhandel mit Russland brach mit dem Beginn des Ukrainekrieges komplett weg. Von den fast zehn Millionen Containereinheiten (TEU), die Deutschlands größter Seehafen im Jahr 2007 umgeschlagen hat, ist Hamburg heute weit entfernt – im vergangenen Jahr verzeichnete der Hafen an den Kaikanten einen Umschlag von rund 7,8 Millionen TEU.
Ein völlig anderes Bild bietet dagegen die Statistik der Güterbahnverkehre im Hamburger Hafen. Speziell der Containerumschlag wächst im langfristigen Trend. Im vergangenen Jahr wurden rund 2,6 Millionen Containereinheiten (TEU) per Bahn in den Hafen hinein- oder dort hinausbewegt. Während der Pandemie im Jahr 2021 erreichte der Containertransport im Hafen einen Spitzenwert von rund 2,8 Millionen TEU. Für das Jahr 2015 hatte Hamburgs Hafen auf der Güterbahn rund 2,3 Millionen TEU Umschlag verzeichnet. Bei den Containerverkehren mit dem Inland betrug der Bahnanteil des Hamburger Hafens 2024 rund 50,2 Prozent. Gemessen in Tonnen und über alle Ladungsarten hinweg – also auch inklusive Massengütern wie Kohle, Erz, Mineralölprodukten und Getreide – hatte der Hafen im vergangenen Jahr einen Bahnanteil von 55,6 Prozent.
Die Wirtschaft und die Politik in Hamburg sehen die Bahnanbindung des Hafens als strategisch entscheidend an, um künftiges Wachstum zu generieren. Hamburgs Lage mehr als 100 Kilometer weit im Inland, kombiniert mit dem Bahntransport, bietet die Chance, Ladung schnell und mit relativ geringem Energieverbrauch nach und von Europa zu bringen. „Hamburg ist der wichtigste Eisenbahnhafen Europas“, sagt Malte Heyne, Hauptgeschäftsführer der Handelskammer Hamburg. „Über die Hälfte aller Container wird hier per Schiene in den und aus dem Hafen transportiert – das sind mehr als in Rotterdam, Antwerpen und Bremen zusammen.“
Wie in vielen europäischen Staaten ist die Verkehrsinfrastruktur auch in Deutschland marode und unterfinanziert. Das vom Bundestag beschlossene, 500 Milliarden Euro umfassende Sondervermögen für die Infrastruktur weckt auch in den Hafenstädten Hoffnungen, dass die jährliche Unterstützung der Häfen durch den Bund von derzeit rund 38 Millionen Euro auf 500 Millionen Euro aufgestockt wird. „Wie in den großen internationalen Konkurrenzhäfen muss sich auch in Deutschland der Bund seiner Verantwortung stellen und ausreichende Mittel bereitstellen – insbesondere, um Hamburgs Bedeutung als strategischer Bahnhafen für militärische und sicherheitsrelevante Transporte zu stärken“, sagt Heyne.
Der neue rot-grüne Hamburger Senat will den Güterumschlag weiter automatisieren, die Hafenanlagen für die Energiewende ertüchtigen – und den Hafentransport für einen noch höheren Bahnanteil weiter ausbauen, auch mithilfe des Bundes: „Wir sehen Hamburgs Rolle als führender Eisenbahnhafen ganz klar als strategischen Trumpf“, schreibt die für den Hafen zuständige Wirtschaftsbehörde. „Die Schiene ist für Hamburg ein Standortvorteil und der Schlüssel, um den Hafen wirtschaftlich, nachhaltig und strategisch weiterzuentwickeln.“ Mit dem heutigen Niveau der Bundesförderung sei das aber nicht möglich. „Die aktuellen Bundesmittel für den Hafenunterhalt stammen aus einer anderen Zeit: Die rund 38 Millionen Euro jährlich für alle Küstenländer – davon knapp 21 Millionen Euro für Hamburg – sind seit 20 Jahren nicht mehr angepasst worden“, schreibt die Behörde. „Angesichts massiver Kostensteigerungen im Bau, höherer Anforderungen durch Digitalisierung, Klimaschutz und der wachsenden sicherheits- und energiepolitischen Rolle der Seehäfen ist das schlicht nicht mehr ausreichend.“
Hamburg sieht den Bund auch in der Pflicht bei der Sanierung und dem Ausbau des deutschen Schienennetzes: „Eine zügige und kontinuierliche Modernisierung sowie Instandhaltung der Hinterlandanbindungen im Netz der Deutschen Bahn ist eine zentrale Voraussetzung, um die Rolle des Hamburger Hafens im Schienengüterverkehr nicht nur zu sichern, sondern weiter auszubauen.“ Ebenso entscheidend sei eine „leistungsfähige Gesamtinfrastruktur im Hafen selbst, um einen reibungslosen und effizienten Warenumschlag zu gewährleisten und die Wettbewerbsfähigkeit dauerhaft zu sichern“.
Die Handelskammer teilt diese Sicht: „Notwendig sind umfassende Investitionen in Weichen, Brücken, Schnittstellen zum Fernbahnnetz sowie eine konsequente Elektrifizierung des Schienennetzes im und um den Hafen“, sagt Heyne. „Dringend erforderlich ist auch eine weitere Ausfahrt aus dem Hamburger Hafen in das Netz der Deutschen Bahn.“
Die Hansestadt selbst investiert seit vielen Jahren in den Ausbau und in die technologische Modernisierung der Hafenbahn, um den Durchsatz auf der Schiene zu steigern – zum Beispiel in das digitale Verkehrsleitsystem der Hafenverwaltung Hamburg Port Authority (HPA) für den Schienengüterverkehr: „Es zeigt an, wo welcher Zug unterwegs ist, welche Gleise frei sind, was wohin geliefert werden soll – und das alles in Echtzeit“, schreibt die Behörde. „Der Anteil schienengebundener Transporte soll weiter gesteigert werden, unter anderem durch neue Umschlagskapazitäten für den kombinierten Verkehr.“
Die Staaten in Zentral- und Südosteuropa, ein traditionelles Zielgebiet des Hamburger Hafens bei den Inlandsverkehren, hat die Wirtschaft der Hansestadt dabei weiterhin besonders im Blick. „Die Bedeutung einer direkten Anbindung an zentrale Wirtschaftsräume in Mittel- und Osteuropa sowie die enge Verzahnung multimodaler Verkehrsträger werden in Zukunft noch wichtiger werden“, sagt Axel Mattern, Vorstand von Hafen Hamburg Marketing. „In Zeiten zunehmender geopolitischer Unsicherheiten ist diese Infrastruktur ein entscheidender Standortfaktor für krisenfeste Logistik.“
Olaf Preuß ist Wirtschaftsreporter von WELT und WELT AM SONNTAG für Hamburg und Norddeutschland. Er berichtet seit mehr als drei Jahrzehnten über die maritime Wirtschaft – über Häfen, Schifffahrt und Werften – und über die Anbindung des Seeverkehrs an das Inland.