Arbeitslosengeld nur noch maximal ein Jahr: Ersparnis in Milliardenhöhe – mit begrenztem Nutzen?
Es soll unbequemer werden für den, der arbeiten kann, es aber nicht tut. Dieses Gerechtigkeitsprinzip stellt den Kern der Bürgergeldreform dar, auf die sich die schwarz-rote Bundesregierung geeinigt hat und gegen die sich Teile der SPD-Basis gerade stellen. Nach dem Willen der Arbeitgeber soll es künftig auch für diejenigen gelten, die gerade noch gearbeitet haben, doch dann ihren Job verloren haben.
„Die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes muss für alle auf zwölf Monate begrenzt werden“, forderte Arbeitgeberverband-Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter am Donnerstag. Die Kritik seitens der Gewerkschaften folgte prompt. „Wer für Arbeitslose und Arbeitssuchende Leistungen streichen und das soziale Netz löchriger machen will, tut nichts für Arbeitsplätze, sondern schürt nur Ängste vor dem sozialen Abstieg“, sagte DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel. Bei Union und SPD wollte man sich auf Nachfrage nicht zu dem Vorschlag äußern. Trotzdem stellt sich die Frage: Wer hat recht?
Arbeitslosengeld I
Das Arbeitslosengeld I (ALG) wird Menschen als Ersatz für Lohn oder Gehalt bezahlt. Anspruch hat, wer innerhalb der letzten 2,5 Jahre mindestens zwölf Monate lang einer Beschäftigung nachging. Wer unter 50 Jahre alt ist, erhält maximal ein Jahr lang Arbeitslosengeld. Menschen über 58 können sogar bis zu zwei Jahre. Der ausbezahlte Betrag liegt für Arbeitslose mit Kindern bei 67 Prozent, für alle anderen bei 60 Prozent des Nettoentgelts.
Dafür lohnt zunächst ein Blick auf die aktuelle Lage am Arbeitsmarkt. Aus Sicht von Experten ist sie weiter kritisch und uneinheitlich. Denn einerseits werden in der Industrie Stellen abgebaut und die Zahl freier Stellen geht zurück. In anderen Branchen, etwa der Pflege, Erziehung oder Rüstung sind Arbeitskräfte knapp und der Mangel an Fachkräften verschärft sich.
Nun blieb auch die „Herbstbelebung“ aus, die üblicherweise zu dieser Zeit im Jahr, die Arbeitslosigkeit zurückgehen lässt, wie Arbeitsagentur-Chefin Andrea Nahles gerade mitteilte. Die Quote liegt weiter auf einem Niveau von 6,2 Prozent. Die Zahl offener Stellen ist mit 623.500 fast so niedrig wie zu Beginn der Corona-Pandemie. Mit 984.000 Menschen beziehen im Oktober nochmal 100.000 mehr Arbeitslosengeld I als im Vorjahr. Die Chancen auf einen Job sind aktuell historisch schlecht, sagt Nahles.
Vor diesem Hintergrund hat Kampeter seinen Vorschlag gemacht. Er will den Druck auf ältere Arbeitslose erhöhen. Denn wer über 58 Jahre und arbeitslos ist, kann bisher bis zu 24 Monate Arbeitslosengeld beziehen. Wer maximal 50 ist dagegen nur maximal 12 Monate. Kampeter will das vereinheitlichen. Seine Begründung für eine Vereinheitlichung: Das sei gerecht, motivierend und wirksam. Was sagen Experten aus Wissenschaft und Praxis dazu?
Gerechtigkeit: „Schritt nicht notwendig.“
„Aus Gerechtigkeitsgründen ist der Schritt nicht notwendig, denn die Arbeitslosenquote unter Älteren ist nur geringfügig größer“, sagte Stefanie Seele, Forscherin vom arbeitgebernahen Institut der Deutschen Wirtschaft (IW), dem Tagesspiegel. Zahlen ihres Instituts zufolge lag die Quote von Über-50-Jährigen im Mai bei 6,4 Prozent und unter der gesamten Erwerbsbevölkerung bei 6,2 Prozent.
Kai Lindemann hält die bestehende Regelung ebenfalls für nicht ungerecht. Er ist Geschäftsführer des Berliner Arbeitslosenzentrums, einer Beratungsstelle für arbeitslose oder von Arbeitslosigkeit bedrohte Menschen. „Arbeitslose Menschen über 55 haben definitiv schlechtere Chancen, wieder in den Arbeitsmarkt zu kommen“, sagte er dem Tagesspiegel. „Wir haben immer Probleme bei der Vermittlung.“ Betroffen seien vor allem Männer. Eine steigende Zahl sei psychisch belastet oder krank. Genau weil die Jobsuche im Alter schwieriger ist, sieht das Gesetz die Möglichkeit einer längeren Bezugsdauer vor.
„Man lässt sich länger Zeit.“
Auch ein Motivationsproblem sieht Lindemann nicht. Die Verantwortung sieht er eher bei den Arbeitgebern. „Ältere Menschen haben schlechte Chancen wegen der Trägheit der Arbeitgeber“, sagt er. Er fordert eine Regelung, wie es sie in Schweden oder der Schweiz gibt. Hier werden Firmen verpflichtet, Langzeitarbeitslose einzustellen. Andernfalls müssen sie Ausgleichszahlung leisten. In Deutschland gilt die Regelung zum Beispiel für die Einstellung Schwerbehinderter.
IW-Forscherin Seele sieht das anders. „Wenn man länger Zeit hat, lässt man sich länger Zeit.“ Das sei in zahlreichen Studien empirisch belegt. Auch gingen Fähigkeiten und Kompetenzen verloren, wenn man zu lange nicht arbeite. Die Bezugsdauer sollte also einen Anreiz geben, vor Ablauf eines Jahres eine neue Beschäftigung zu finden. „Eine längere Bezugsdauer von Arbeitslosengeld ebnet den Weg in die Langzeitarbeitslosigkeit oder den Vorruhestand“, sagt Seele.
Aus Kostengründen und angesichts der Arbeitsmarktlage hält sie den Vorschlag zudem für wirksam. Durch eine Vereinheitlichung für alle Altersgruppe würde die Arbeitsagentur (BA) laut IW über zwei Milliarden Euro pro Jahr sparen. Ergo könnte die Politik den Beitragssatz senken. „Gleichzeitig würde das den Fachkräftemangel dämpfen, wenn sich ältere Arbeitslose neue Tätigkeiten suchen, statt in Vorruhestand zu gehen“, sagt Seele: „Wir brauchen jede helfende Hand.“