„Staatsräson abgehakt?“: Das sind die ersten Reaktionen auf Merz’ Waffenstopp an Israel

Nach dem Beschluss des israelischen Sicherheitskabinetts zur Einnahme der Stadt Gaza erhöht die Bundesregierung den Druck auf Israel. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) kündigte an, dass vorerst keine Ausfuhren von Rüstungsgütern genehmigt würden, die im Gaza-Krieg verwendet werden könnten.

In den vergangenen Wochen hatte die Bundesregierung das militärische Vorgehen Israels im Gazastreifen immer schärfer kritisiert. Nun ergreift sie erstmals konkrete Maßnahmen gegen den Freund und Partner.

Die Bundesregierung hatte einen Stopp von Rüstungsexporten nach Israel bislang abgelehnt. Seit dem Terrorangriff der Hamas vor fast zwei Jahren genehmigte sie Rüstungsexporte für fast eine halbe Milliarde Euro. Vom 7. Oktober 2023 bis zum 13. Mai 2025 wurde die Lieferung von Waffen und militärischer Ausrüstung im Wert von 485,1 Millionen Euro an Israel erlaubt, wie das Bundeswirtschaftsministerium kürzlich auf eine Anfrage der Linksfraktion antwortete. Welche Waffen konkret Deutschland lieferte, ist nicht bekannt.

Der Historiker Michael Wolffsohn kritisierte im „Tagesspiegel“, dass die Bundesregierung ihrem eigenen Anspruch nicht gerecht werde. „Ziel soll eine möglichst widerspruchsfreie außenpolitische Strategie sein“, sagte Wolffsohn. „Oberste Priorität sind laut Kanzler Merz die Freilassung der Geiseln und die Entwaffnung der Hamas. Wer das will, muss Israel Waffen liefern.“

Dieser Kurswechsel läuft allen Solidaritätsbekundungen und Versprechen zuwider.

Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden

Zudem brauche die Bundesrepublik umgekehrt von Israel Drohnen, einen Raketenschutzschild, Unterstützung bei der Bekämpfung des islamistischen Terrors sowie IT-Expertise. Gleichzeitig halte sich Deutschland für zu wichtig in diesem Zusammenhang. „Bei den Waffenlieferungen kommt es allein auf die USA an. Und die liefern zum Glück.“

Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, bezeichnete die Entscheidung als „enttäuschend“ und kritisierte: „Dieser Kurswechsel läuft allen Solidaritätsbekundungen und Versprechen zuwider, die der Bundeskanzler seit seinem Amtsantritt vertreten hat.“

Der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter nannte die Aussetzung von Waffenlieferungen an Israel „einen schweren politischen und strategischen Fehler Deutschlands“. Israel sei ein Freund, dem man vertrauen müsse, dass er die Waffen völkerrechtskonform einsetze. Mit der Aussetzung unterminiere man „quasi das Völkerrecht, indem Israels Recht zur Selbstverteidigung zumindest eingeschränkt wird“, schrieb Kiesewetter bei X.

Mit der Entscheidung breche Deutschland gewachsene Freundschaft und Vertrauen und beuge sich „einem antisemitischen Mob der Straße“ und „der kognitiven Kriegsführung einer gnadenlosen Hamas-Propaganda“. Kiesewetter sei „enttäuscht und halte das persönlich für einen schweren Fehler“.

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Eine scharfe Reaktion kam auch von der Jungen Union. „Staatsräson abgehakt? Ein Bruch mit den Grundsätzen der Unionspolitik“, schrieb die Nachwuchsorganisation auf Instagram.

Der JU-Vorsitzende und CDU-Bundestagsabgeordnete Johannes Winkel sagte dem Tagesspiegel: „Das ist ein Bruch mit Jahrzehnten von Unionspolitik. Eine deutsche Bundesregierung kann und darf die Staatsräson nicht mal eben abhaken.“

Dem Staat Israel gilt unsere volle Solidarität, aber Falsches muss benannt werden.

Vizekanzler Klingbeil

Die Deutsch-Israelische Gesellschaft erklärte, wenn die Entscheidung so bleiben sollte, wäre das ein Punktsieg der radikalislamistischen Hamas. Sie sei militärisch immer noch handlungsfähig. Freiwillig gebe die Gruppe weder die Waffen ab noch die israelischen Geiseln frei. Gleichzeitig räumt der Verband ein, selbst keinen Plan für das richtige Vorgehen im Gazastreifen vorlegen zu können. Die Handlungen der Regierung seien auch in Israel selbst politisch wie militärisch umstritten. „Wir wissen es vor allem nicht besser“, so der Verband.

Unterstützung erhielt Merz für sein Vorgehen von Vizekanzler Lars Klingbeil: „Dem Staat Israel gilt unsere volle Solidarität, aber Falsches muss benannt werden“, erklärte der Bundesfinanzminister. Das humanitäre Leid in Gaza sei unerträglich. Dafür trage die israelische Regierung eine große Verantwortung. „Deswegen muss jetzt humanitäre Hilfe schnellstmöglich und umfassend nach Gaza reingelassen werden.“

Während die SPD den Schritt begrüßte, zeigte sich die CSU-Führung überrascht. Die CSU sei an der Entscheidung nicht beteiligt gewesen, berichtete die „Bild“-Zeitung und berief sich dabei auf CSU-Kreise.

Der außenpolitische Sprecher der Union, Jürgen Hardt, verteidigte die Entscheidung dagegen: „Diese Reaktion war unausweichlich, nachdem der Bundeskanzler und der Bundesaußenminister unsere Bedenken über Monate in hoher Frequenz vortrugen“, sagte er dem Tagesspiegel.

Man wolle Israel damit eindeutig signalisieren, dass Deutschland das Vorgehen in Gaza für bedrohlich für Israels Stellung in der Welt und seine Sicherheit halte. Wir können nicht mehr nachvollziehen, welche Kriegsziele Israel mit der erneuten Ausweitung der Offensive verfolgt – dabei teilen wir das Kriegsziel einer völligen Ablösung der Macht der Hamas weiterhin uneingeschränkt“, sagte Hardt.

Die amtierende außenpolitische Sprecherin der Grünen, Luise Amtsberg, begrüßte Merz’ Entscheidung als „richtig und überfällig“. Gegenüber dem Tagesspiegel forderte sie mit Blick auf die Lage im Westjordanland: „Um den völkerrechtswidrigen Siedlungsbau im Westjordanland zu beenden, ist eine Sanktionierung von Ministern, Unternehmen und Einzelpersonen, die den Siedlungsbau im Westjordanland vorantreiben, durch die Bundesregierung zwingend erforderlich.“ (mit dpa, jmi)