Brosius-Gersdorf bei „Lanz“ zum Richterfiasko: „Hätte man sich in seinen schlimmsten Träumen nicht vorstellen können“
Ein ungelöster Streit schwelt in der schwarz-roten Koalition, er dreht sich um eine Person: Frauke Brosius-Gersdorf. Die Juristin, von der SPD als Kandidatin fürs Bundesverfassungsgericht nominiert, löst in der Union viel Unmut aus. Vielen gilt sie als zu liberal, von manch obskurer Seite wird sie gar als linksradikal bezeichnet.
Als sich abzeichnete, dass Brosius-Gersdorf bei der geplanten Richterwahl im Bundestag am vergangenen Freitag keine Mehrheit erhalten würde, wurde die Abstimmung kurzfristig abgesagt. Seitdem knirscht es zwischen Union und SPD.
Brosius-Gersdorf selbst hielt sich aus der Öffentlichkeit fern, äußerte sich seither nur schriftlich. Nun trat sie am Dienstagabend in der Sendung von Markus Lanz auf. Für den Moderator ist es ein Coup, für die Juristin eine Gelegenheit zur Richtigstellung. Die Sendung in der TV-Kritik.
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Brosius-Gersdorf berichtet von Morddrohungen
Lanz gesteht Brosius-Gersdorf nicht nur ein Einzelgespräch zu – eine seltene Ehre. Er gibt ihr zu Beginn auch die Möglichkeit, ausführlich über ihr Befinden zu sprechen. Ob sich die Juristin dabei sonderlich wohlfühlt, sei dahingestellt.
„Es geht mir den Umständen entsprechend“, sagt Brosius-Gersdorf. Die Berichterstattung über sie habe Spuren hinterlassen, auch in ihrem sozialen Umfeld. Ihre Menschenwürde und ihr Persönlichkeitsrecht seien zu achten, stellt Brosius-Gersdorf klar.
Sobald das auch nur droht, würde ich an meiner Nominierung nicht festhalten. Das ist ein Schaden, den kann ich gar nicht verantworten.
Frauke Brosius-Gersdorf, Juristin, über ihre Kandidatur als Richterin am Bundesverfassungsgericht
„Ist es zutreffend, dass sie sogar Morddrohungen bekommen haben?“, fragt Lanz. „Ja, wir haben Drohungen bekommen“, bestätigt die Juristin. Dazu kämen „Poststücke mit verdächtigem Inhalt, die an meinen Lehrstuhl gesendet wurden“. Sie habe ihre Mitarbeiter gebeten, vorerst nicht mehr dort zu arbeiten, berichtet die Professorin.
Äußerungen in der Öffentlichkeit über sie, etwa als „Kindsmörderin“, bezeichnet Brosius-Gersdorf als „tiefste Schmähungen“. „Jemand, der sich für ein so hohes Amt im Staat zur Verfügung stellt, muss sich der Diskussion stellen“, betont die Juristin. Natürlich gelte die Presse- und Meinungsfreiheit. „Aber das Ganze hat auch Grenzen“ – etwa bei Diffamierungen.
Eine gezielte Kampagne?
Wo liegen die Grenzen der medialen Berichterstattung? Der Moderator unterstellt Brosius-Gersdorf, eine „relativ pauschale Medienschelte“ betrieben zu haben, zumindest in ihren schriftlichen Äußerungen vom Dienstag.
„Ich habe ganz bewusst von einzelnen Medien, einzelnen Journalisten gesprochen“, verteidigt sich die Juristin. Deren Berichterstattung nennt sie „unvollständig, unsachlich, teilweise falsch“.
Zugleich habe es „viele gute Berichte“ gegeben. Aber es sei nicht akzeptabel, „wenn einzelne Thesen herausgepickt werden, und wenn Sätze falsch wiedergegeben werden und aus dem Zusammenhang gerissen werden“, so Brosius-Gersdorf.
Ist das schon eine gezielte Kampagne, wie es in den vergangenen Tagen vielfach hieß? Lanz ist skeptisch: Journalisten müssten eben kritisch nachfragen. Dennoch habe man „irgendwann“ das Gefühl gehabt, „da läuft auch jetzt tatsächlich eine Kampagne“, so Lanz. Brosius-Gersdorfs Urteil fällt eindeutiger aus: „Es war ein Teil einer Kampagne“, sagt sie.
Entlanghangeln an einzelnen Vorwürfen
Was über die Juristin vermeintlich herausgepickt wurde, das besprechen Moderator und Gast intensiv. An ihrer Position zum AfD-Verbotsverfahren hält Brosius-Gersdorf fest, eine Impfpflicht würde sie aus heutiger Sicht anders beurteilen, die Debatte um die Menschenwürde von Embryos im Mutterleib beschreibt die Professorin als Dilemma.

© dpa/MARKUS HERTRICH
Viel fruchtbarer, als sich an diesen einzelnen Positionen entlangzuhangeln, erscheinen jedoch die weitreichenderen Fragen, die sich daraus ergeben – und die vom Moderator treffsicher herausgearbeitet werden.
Da ist zum einen Brosius-Gersdorfs Selbstverständnis als Rechtswissenschaftlerin: Wie versteht sie ihre Rolle zwischen Öffentlichkeit und Juristerei? Immer wieder betont die Professorin, sie sei weder Politikerin noch Aktivistin, sondern Wissenschaftlerin. Als solche nehme sie wissenschaftlich Stellung.
„Entscheidend ist das Wort ‚nachdenken‘, Herr Lanz. Das ist das, was wir Juristen jeden Tag machen“, sagt Brosius-Gersdorf, angesprochen auf ihre Äußerungen zur Impfpflicht.
Sie sieht es so: Als Rechtswissenschaftlerin wäge sie verschiedene Rechtsgüter gegeneinander ab, so etwa bei der Abtreibungsfrage. Daraus könne man jedoch nicht zwingend eine politische Position ableiten.
Die Positionen, die sie vertrete, seien „absolut gemäßigte Positionen aus der Mitte der Gesellschaft“, beteuert Brosius-Gersdorf immer wieder. „Nun habe ich die alte Schwäche, dass ich mich nun mal relativ klar ausdrücke“, gesteht sie. Bei einem Wechsel ans Bundesverfassungsgericht würde sie sich jedoch anders verhalten: „Mir ist dieser Berufs- und Rollenwechsel komplett bewusst.“
Brosius-Gersdorf zeigt sich offen für einen Rückzug
Ob dieser Wechsel eines Tages stattfinden wird, steht wohl noch in den Sternen. Wie es nun für sie weitergehe, möchte Lanz von Brosius-Gersdorf wissen. „Das ist für mich auch wirklich nicht einfach, diese Frage“, antwortet sie nachdenklich. Es gebe viel abzuwägen.
Was sie tun würde, wenn die Debatte über sie irgendwann auch das Bundesverfassungsgericht beschädigen sollte, fragt Lanz. „Sobald das auch nur droht, würde ich an meiner Nominierung nicht festhalten. Das ist ein Schaden, den kann ich gar nicht verantworten“, antwortet Brosius-Gersdorf.
Schon jetzt habe die Richterwahl undenkbare Folgen gehabt, sagt die Juristin an anderer Stelle: „Das hätte man sich in seinen schlimmsten Träumen auch so nicht vorstellen können, diese Art von Politisierung einer Verfassungsrichterwahl.“ So etwas „sollte möglichst auch nicht mehr geschehen in dieser Republik, weil es Schaden anrichtet für unsere Demokratie“.
Ein irritierender Abschluss
Irritierenderweise hat Lanz an diesem Abend nicht nur Brosius-Gersdorf zu Gast. Nachdem die knapp einstündige Einzelbefragung der Rechtswissenschaftlerin beendet ist, diskutieren die Journalisten Anna Lehmann (taz) und Marc Felix Serrao (NZZ) über deren Auftritt.
Eher unbeholfen wirkt der Versuch der beiden Nicht-Juristen, Brosius-Gersdorfs Äußerungen zum Schwangerschaftsabbruch juristisch einzuordnen. Deutlich aufschlussreicher ist hingegen die Einschätzung der beiden Politikjournalisten, etwa zu den Ursachen und Folgen der gescheiterten Richterwahl.
Der Streit, der sich in den verbleibenden Minuten der Sendung zwischen beiden entwickelt, wirkt leider etwas zu gewollt. Aber so ganz ohne Zoff kommt wohl keine Lanz-Sendung aus.