Wozu noch SPD?: Die Partei gerät mächtig unter Erklärungsdruck

Aktuell nur noch 15,5 Prozent in Umfragen, also wieder weniger als bei der Bundestagswahl, und dann noch ein Grundlagenpapier, das eine umfassende Erneuerung verlangt: Die SPD kommt mächtig unter Druck. Und ist spät dran. Zu spät?

„Wir haben eine historische Niederlage erlitten, obwohl wir in einer Zeit leben, die geradezu nach sozialdemokratischen Antworten schreit.“ Das war 2009, ein Auszug aus der Rede des neuen Parteichefs Sigmar Gabriel nach dem Wahlergebnis von 23 Prozent. Die SPD hätte daraus lernen müssen. Hat sie aber nicht.

Nicht mehr die Partei der Arbeit

Dabei waren damals wie heute die Gründe offensichtlich. Die SPD hat nicht bloß ein Kommunikationsproblem. Sie wird nicht mehr als Partei der Arbeit angesehen, und sie verliert Wähler der Mitte. Menschen, die sozial und demokratisch denken und zugleich wollen, dass Werte erhalten werden, Freiheit, Sicherheit. Der gesellschaftliche Diskurs darüber wird von der SPD nicht (an)geführt. Ein Fehler, jede Wahl wieder.

Programmpartei? Es zählt der Ausgleich zwischen den Flügeln. Das ist kein Angebot an Wähler. So kommt die SPD nicht zum Fliegen.

Stephan-Andreas Casdorff ist Editor-at-Large des Tagesspiegels. Er drängt die SPD, Partei der Kümmerer zu sein.

Das Papier, unter anderem von Gesine Schwan verfasst, der Hüterin der Grundwerte, beklagt die Sprache auf Parteitagen, in Anträgen: Bürokratie- und PR-Sprech. Wer aber nicht verstanden wird, wie will der oder die gewählt werden? Dann die verlorenen Verbindungen in die Gesellschaft hinein, zu Gewerkschaften, NGOs, Kirchen, in die analoge und digitale Welt.

Ohne Kommunikation, ohne Kooperation, ohne Partner wird das allerdings nichts: „Die Erarbeitung eines neuen sozialdemokratischen Verständnisses eines modernen Staates und seiner Funktionsweisen.“ Die ist zwingend verbunden mit dem Satz von Johannes Rau: Sage, was du tust, und tue, was du sagst.

Kein Spruch – ein Anspruch! Und zwar des Wählers. Wer Wohnungen verspricht, muss Wohnungen bauen. Und: Sozial ist, wer sich kümmert. Die SPD als Partei der Kümmerer, als Netzwerk der Daseinsfürsorge. Eine Erneuerung? Eher eine Rückbesinnung. Für die ist es nie zu spät.

Lesermeinungen zum Artikel

„Die ursprüngliche Welt der Arbeiterklasse gibt es nicht mehr. Insofern kann sich die SPD nicht als ‘Partei der Arbeiterklasse’ wieder erfinden. Angesagt wäre ein Parteiprogramm, das die Rechte und Ansprüche des Individuums gegen den aufkommenden Neo-Kapitalismus vertritt. Ein schwieriges Unterfangen, da es eines überzeugenden Narratives bedarf, das die Verlustängste der Menschen berücksichtigt und gleichzeitig gesellschaftliche Veränderungen erklären muss. In der SPD sind derzeit keine Personen erkennbar, die eine solche politische Gestaltungskraft besitzen.“

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