CDU und Linke kooperieren: Kanzlerwahl befeuert Debatte über Ende der Unvereinbarkeit

Mauertote, DDR-Unrechtsregime, Stasi-Terror, der Sozialismus allgemein – es gehört zum christdemokratischen Selbstverständnis, die Linkspartei als Nachfolgerin der PDS und Nachnachfolgerin der SED zu betrachten. Eine Zusammenarbeit hat sich die CDU selbst verboten, aktuelle Grundlage dafür ist der Unvereinbarkeitsbeschluss von Ende 2018.

Ob er unter den neuen politischen Vorzeichen noch zu halten ist, ist in der Partei schon länger Gegenstand von Diskussion – häufig angestoßen von Daniel Günther, dem schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten. Schließlich mussten etwa in Thüringen politische Verrenkungen mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht vorgenommen werden, um eine tragfähige Regierung zustande zu bekommen.

Nun, mit den neuen Mehrheitsverhältnissen im Bundestag, in dem es jenseits der AfD ohne die Linke keine verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit geben kann, stellt sich die Frage noch akuter. Der Koalitionsvertrag sieht noch in diesem Jahr eine Reform der Schuldenbremse vor.

Natürlich bringt das an der Basis die Brandmauer-Debatte zurück.

Die CDU-Politikerin Inge Gräßle über die Folgen der Kanzlerwahl.

Die neue Regierung wäre noch nicht einmal im Amt ohne die Linke. Am Dienstag war es nur mit ihrer Hilfe möglich, von der Bundestags-Geschäftsordnung abzuweichen und einen zweiten Kanzlerwahlgang durchzuführen. Unionsfraktionschef Jens Spahn wie auch Bundeskanzler Friedrich Merz, der sonst an diesem Mittwoch nicht hätte nach Paris und Warschau hätte reisen können, dankten öffentlich.

Das ist die wohl am weitesten gehende Annäherung, die es bisher gegeben hat – auch wenn sie dem Unvereinbarkeitsbeschluss nicht formal zuwiderläuft, der nur „Koalitionen und ähnliche Formen der Zusammenarbeit“ ausschließt.

Politisch aber ist das Signal ziemlich klar. Nicht zuletzt gab es nach Angaben aus CDU-Kreisen eine interne Diskussion darüber, bevor die Linke am Dienstag angerufen wurde. „Natürlich bringt das an der Basis die Brandmauer-Debatte zurück“, sagt die CDU-Bundestagsabgeordnete Inge Gräßle.

Kanzleramtschef offen für Neubewertung

Zumal der neue Innenminister Alexander Dobrindt, der als langjähriger CSU-Landesgruppenchef den Deal mit der Linken einfädelte, Wiederholungen explizit nicht ausschloss: „Da, wo Zwei-Drittel-Mehrheiten gebraucht werden, wird man das auch in Zukunft tun.“

Der Merz-Vertraute Thorsten Frei, nun Kanzleramtschef, signalisierte am Mittwoch in einem Fernsehinterview gar eine gewisse Offenheit dafür, das bisherige Verhältnis zur Linken zu überprüfen: „Mit Sicherheit sind wir in einer Situation, wo wir die eine oder andere Frage neu bewerten müssen.“

Lesermeinungen zum Artikel

„Ob die CDU nun über ihren Unvereinbarkeitsbeschluss nachdenkt oder nicht, die politische Realität hat sich längst verändertDie Linke ist ein relevanter Faktor und sie zeigt, dass man auch jenseits von Regierungsmacht Haltung zeigen und Verantwortung übernehmen kann. So geht Opposition mit Rückgrat. Und genau das braucht diese Republik.“ Diskutieren Sie über folgenden Link mit Diogenes

„Wir stehen vor einer Neubewertung“, lautet denn auch die Analyse des CDU-Parlamentariers Georg Günther, der gleichzeitig warnt: „Wir dürfen bei einer solchen Debatte der Zusammenarbeit nichts überstürzen.“ Und das nicht nur, weil sich ein Parteitagsbeschluss nicht von einem auf den anderen Tag revidieren lässt.

Auf Kurs nach links? Friedrich Merz (l.) und Thorsten Frei

© obs/SWR - Südwestrundfunk

Günther vertritt den früheren Wahlkreis von Angela Merkel in Mecklenburg-Vorpommern. „Ich bin aufgrund der klaren Haltung der CDU gegenüber dem DDR-Unrechtsregime in die Partei eingetreten“, erzählt er: „Die Linke hat sich seitdem verändert, aber einen klaren Prozess zur SED-Aufarbeitung konnte ich nie feststellen – mir fällt jegliche Zusammenarbeit deshalb schwer.“

Gegen die „technischen Vereinbarungen“ im Bundestag wie im Ältestenrat hat auch der Brandenburger Abgeordnete Knut Abraham nichts einzuwenden. Mehr ist für ihn tabu. „Die politischen Unvereinbarkeiten mit der Linkspartei bleiben“, meint er: „Mit denen haben wir echt nichts am Hut.“

Im Westen der Republik sind die Motive ein wenig anders gelagert, das Nein zu einer Aufhebung des Unvereinbarkeitsbeschlusses aber noch rigoroser. „Eine Zusammenarbeit mit der radikalen Linken ist für mich undenkbar“, stellt der Karlsruher Abgeordnete Olav Gutting fest: „Wer öffentlich die Abschaffung des ,Kapitalismus’ fordert und zurück zum Sozialismus will, kann kein Partner sein.“

Schon an Tag 1 der Kanzlerschaft von Friedrich Merz ist die Union in der Realität angekommen.

Linken-Politikerin Heidi Reichinnek hält eine Zusammenarbeit mit der Union für denkbar.

Er hat wie andere auch nichts dagegen, wenn beispielsweise auch die Wahl von Richtern des Bundesverfassungsgerichts künftig mit den Stimmen der Linken geschieht: „Aber es kann dafür meines Erachtens keine Zugeständnisse oder inhaltliche Absprachen geben.“

Härter als sein Vorgänger Frei äußert sich auch der neue parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion. „Die gestrige Verständigung war eine reine Verfahrensabsprache - mehr nicht“, so Steffen Bilger zum Tagesspiegel: „Wer darin mehr sehen will, irrt.“ Es gebe keine politischen Schnittmengen mit der Linken, „und daran wird sich auch nichts ändern“.

„Man darf radikalen Parteien keinen inhaltlichen Einfluss auf die Regierungsbildung oder Regierungspolitik geben“, argumentiert auch Thorsten Alsleben, der Geschäftsführer der CDU-nahen Lobbyorganisation Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, der noch einen Schritt weiter geht: „In Einzelfragen muss man aber mit allen reden können, ob Linke oder auch AfD.“

In der Linkspartei sieht man dagegen bereits eine neue Stufe erreicht: „Schon an Tag 1 der Kanzlerschaft von Friedrich Merz ist die Union in der Realität angekommen, nämlich dass es in manchen Fragen eine Zusammenarbeit mit der Linken geben muss“, sagt Heidi Reichinnek, kommissarische Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag.

Sie hält eine Zusammenarbeit für möglich, „wenn die Union ihre ideologischen Scheuklappen ablegt“. Auch sie verweist auf die anstehenden Verhandlungen für die Reform der Schuldenbremse oder die Wahl von Richtern ans Bundesverfassungsgericht. „Der gestrige Tag hat deutlich gezeigt, dass wir bereit sind, die Verantwortung zu übernehmen, die uns das Wahlergebnis gegeben hat.“