Nach Bewertung als „gesichert rechtsextremistisch“: Verfassungsschutz gibt „Stillhaltezusage“ im AfD-Eilverfahren ab
Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) bezeichnet die AfD bis zu einer Gerichtsentscheidung über ein Eilverfahren nicht mehr öffentlich als gesichert rechtsextremistische Bestrebung. Der Inlandsgeheimdienst gab im Rechtsstreit mit der AfD eine sogenannte Stillhaltezusage ab.
Eine Sprecherin des Gerichts bestätigte den Eingang eines entsprechenden Schreibens der Behörde. Das Bundesamt wollte sich „mit Blick auf das laufende Verfahren und aus Respekt vor dem Gericht“ in dieser Angelegenheit nicht öffentlich äußern. Wann die Entscheidung im Eilverfahren getroffen wird, ist bisher unklar. Die AfD hatte gegen die neue Einstufung durch das BfV geklagt.
Das ist sicher ein politischer Erfolg mit rechtlichen Mitteln.
Volker Boehme-Neßler, Staatsrechtler an der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg
Es ist nicht das erste Mal, dass der Verfassungsschutz eine solche Zusage macht. Er hatte dies etwa auch im Januar 2021 getan, nachdem die AfD gegen ihre damalige Einstufung als „Verdachtsfall“ geklagt hatte. Die damalige Klage blieb für die Partei in zwei Instanzen erfolglos. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster ist noch nicht rechtskräftig.
Die nun vom BfV gegebene „Stillhaltezusage“ bezieht sich nicht nur auf öffentliche Äußerungen, sondern bedeutet auch, dass der Verfassungsschutz die AfD bis zu einem Urteil nicht als gesichert extremistische Bestrebung beobachten kann. Die Beobachtung als Verdachtsfall - hier liegt die Hürde für den Einsatz von nachrichtendienstlichen Mitteln höher - darf jedoch fortgesetzt werden.
AfD-Chefin Weidel sieht Erfolg für Demokratie
AfD-Chefin Alice Weidel bezeichnete den Schritt als einen ersten Erfolg für die AfD und die Demokratie. „Wir werden auch weiter gegen die ungerechtfertigte Diffamierung der AfD vorgehen und sind überzeugt, dass wir damit erfolgreich sein werden“, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur.
Der Verfassungsschutz hatte die neue Einstufung am 2. Mai nach mehrjähriger Prüfung bekanntgegeben. Der Zeitpunkt, wenige Tage bevor die Amtszeit von Nancy Faeser (SPD) als Bundesinnenministerin endete, hatte für Schlagzeilen gesorgt und eine neue Debatte über ein mögliches AfD-Verbot ausgelöst. Faeser betonte, das neue Gutachten des BfV habe das Ministerium erst am 28. April erreicht. Sie habe keinen Einfluss auf den Inhalt und die Entscheidung des Bundesamtes genommen.
Begründet hatte der Verfassungsschutz seine neue Bewertung vor allem mit einem in der Partei vorherrschenden ethnisch-abstammungsmäßigen Volksbegriff. Kritisch sieht er etwa Aussagen von AfD-Funktionären wie „Jeder Fremde mehr in diesem Land ist einer zu viel“.
Lesermeinungen zum Artikel
„Was nach Bürgernähe klingt, ist in Wahrheit ein Angriff auf die freiheitliche demokratische Grundordnung (FDGO): Das Prinzip der Menschenwürde, die Pluralität und die Gleichheit aller werden schrittweise infrage gestellt. Bereits jetzt sind Diskursverschiebungen spürbar, die Grundrechte relativieren und Minderheiten delegitimieren. Diese Strategie stellt die demokratische Gesellschaft vor eine historische Herausforderung: Wehrhafte Demokratie ist nicht optional, sondern nötig – bevor der autoritäre Marsch zum Ziel führt.“ Diskutieren Sie über folgenden Link mit RobHefter
Volker Boehme-Neßler, Staatsrechtler an der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg, sagte der „Welt“ zu der aktuellen Entscheidung des BfV: „Aus meiner Sicht ist das ein juristischer Erfolg für die AfD, allerdings nur ein vorläufiger. Es kommt juristisch am Ende auf das Urteil im Hauptsacheverfahren an.“ Bis zum Urteil könne es noch lange dauern – „erfahrungsgemäß weit länger als ein Jahr“, sagte er. Daher sei es wichtig, wie es in der Übergangszeit weitergeht, so der Jurist.
Boehme-Neßler skizzierte, wie das laufen könnte: „Der Verfassungsschutz setzt die Hochstufung auf ,gesichert rechtsextremistisch‘ so lange aus, bis das Gericht eine vorläufige Entscheidung getroffen hat. Die vorläufige Entscheidung könnte lauten: Bis zum Urteil in der Hauptsache muss der Verfassungsschutz die Hochstufung aussetzen. Sie könnte aber auch lauten: Bis zur Hauptsache kann der Verfassungsschutz die Hochstufung weiter umsetzen.“
Der Staatsrechtler sagte weiter: „Politisch ist es aber ein Erfolg für die AfD. Denn bis zur vorläufigen Entscheidung ist die Hochstufung vom Tisch.“ Weil selbst die vorläufige Entscheidung des Gerichts frühestens in mehreren Monaten kommen werde, „hat die AfD viel Zeit gewonnen. Das ist sicher ein politischer Erfolg mit rechtlichen Mitteln.“
Kölner Staatsrechtler hält Ausgang für völlig offen
Nach Ansicht des Kölner Staatsrechtsprofessors Markus Ogorek ändert die Stillhaltezusage des BfV nichts an der inhaltlichen Bewertung durch die Behörde. „Das Bundesamt für Verfassungsschutz hält weiter an seiner Einschätzung zur AfD fest und verzichtet lediglich einstweilen darauf, sie öffentlich als gesichert extremistisch zu führen“, sagte Ogorek dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. „Dieser Schritt überrascht nicht und sagt rein gar nichts darüber aus, ob die Hochstufung der AfD rechtlich zulässig war oder nicht.“
Ogorek verwies darauf, dass der Verfassungsschutz schon 2021 im Verfahren zur Verdachtsfall-Einstufung genauso gehandelt habe – und den Prozess später gewonnen.
„Wenn AfD-Vertreter nun behaupten, dies sei ein erster juristischer Erfolg, dann ist das schlicht falsch oder zeugt von Unkenntnis der gerichtlichen Verfahren. Tatsächlich gilt weiterhin, dass der Ausgang der gerichtlichen Überprüfung völlig offen ist“, sagt der Staatsrechtler dem RND. (dpa, lem)