Ehrung für den Altkanzler: Braucht Berlin eine Helmut-Kohl-Allee?
Anlässlich des 35. Jahrestags der Deutschen Einheit hat Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) die festliche Idee, eine Straße umzubenennen. Natürlich nach dem Kanzler, der diese Einheit vollbracht hat: Helmut Kohl. Dass die Idee bereits im Koalitionsvertrag steht und selbstverständlich nicht in zwei Wochen umsetzbar ist, unterschlagen wir an dieser Stelle wohlwollend und schauen uns den Vorschlag mal genauer an.
Er ist insofern interessant, da Straßenumbenennungen zuletzt vor allem von links vorangetrieben wurden. Unter größter Aufregung wurde kürzlich die von einigen als rassistisch empfundene Mohrenstraße in Mitte in Anton-Wilhelm-Amo-Straße umbenannt, inklusive U-Bahnhof und aller entsprechender Pläne.

Anke Myrrhe Anke Myrrhe ist Stellvertretende Chefredakteurin des Tagesspiegels und Autorin des preisgekrönten Berlin-Newsletters „Checkpoint“.
Am 1. Oktober soll nach 20 Jahren Debatte die Treitschkestraße in Steglitz umbenannt werden, Historiker streiten bis heute über die Frage, ob Heinrich von Treitschke („Die Juden sind unser Unglück“) im Kontext seiner Zeit gelesen werden müsse. Fest steht nun: Im Oktober wird er durch Betty Katz ersetzt, die als Direktorin des Jüdischen Blindenheims um die Ecke 1944 von den Nazis ermordet wurde – ein Symbol, das in den heutigen Zeiten deutlich wichtiger erscheint als verkopfte Historikerdebatten.
Straßennamen sind politisch
Der erbitterte Streit um diese beiden Straßen zeigt, wie politisch aufgeladen das Thema der Straßennamen ist. Plötzlich dienen die nicht mehr nur als praktische Orientierungshilfe für Briefträger und Bekannte, sondern als Kampfbegriffe für eine höhere Mission.
Andernfalls hätte man die Mohrenstraße ja auch einfach berlinisch-kreativ in Möhrenstraße umbenennen können, wie es Guerilla-Aktivisten auf vielen Straßenschildern ohnehin schon getan hatten.
Aber hier geht es um die höhere Sache, gleichsam um die Hoheit über den Stadtplan. Und das bringt uns zurück zu Kai Wegner und Helmut Kohl. Denn an Symbolik fehlt es natürlich auch nicht, wenn Berlins Regierender nun die Helmut-Kohl-Allee ausruft – vierspurig, pompös und wahnsinnig repräsentativ mitten im Tiergarten. Und damit wäre Kohl schon mal deutlich besser dran als all seine Vorgänger, die es teilweise nicht allzu gut getroffen hat. Was womöglich auch einiges über die Probleme der deutschen Erinnerungskultur aussagt.
Mal gibt es einen Platz, mal nur ein Stückchen Straße
Konrad Adenauer hat immerhin einen Platz bekommen, der allerdings selbst bei Sonnenlicht nicht mehr als eine Betonbrache mit fetter Kreuzung in Charlottenburg ist, wer länger sucht, findet einen Brunnen. Helmut Schmidt hat immerhin eine Allee bekommen, allerdings nur am Rande eines Gewerbegebiets in Bernau. Für Willy Brandt gab es zwar nur ein Stummelstückchen Straße, dafür aber mitten im Regierungsviertel. Über den Flughafen, der inoffiziell seinen Namen trägt, wollen wir gar nicht erst sprechen – als Hommage an die guten alten Zeiten werden dort seit Tagen die Koffer wieder per Hand sortiert.
Für Kohl soll nun also die Hofjägerallee umbenannt werden, nur die Kauperts-Kenner unter den Berlinern haben diesen Namen schon mal bewusst ausgesprochen. Denn diese Straße liegt zwar sehr zentral direkt am großen Stern (und führt fast bis vor die Tür der Konrad-Adenauer-Stiftung und der CDU-Parteizentrale), dennoch ist sie irgendwie egal, denn sie hat einen entscheidenden Vorteil: Es gibt keine direkten Anwohner, die sich in Zukunft täglich überlegen müssten, ob man den Helmut eigentlich mit TH schreibt.
Es scheint wie eine eher elegante Idee, um einen ehemaligen Bundeskanzler im Stadtbild zu ehren (vielleicht findet sich zur Befriedung für die anderen ja gleich noch ein anderes Stück Straße). Und dennoch findet sich mit Sicherheit jemand, der dagegen aufbegehrt – die Linke ist schon jetzt auf der Tiergarten-Eiche. Zum Beispiel jene, die Helmut Kohl grundsätzlich ablehnen wegen nicht eingehaltener Einheitsversprechen (Stichwort: blühende Landschaften) oder der CDU-Spendenaffäre. Oder einfach, weil er keine Frau war. Aber auf Berlins Straßen gilt doch auch sonst: Niemand ist perfekt.