Exklusivinterview mit Alexander Braun, Gründer von StarStone Wealth: Zölle und die deutsche Wirtschaft: Herausforderungen und Chancen zugleich

Im Verlauf der Globalisierung galten Zölle lange als überholtes Instrument. In den vergangenen Jahren sind sie mit zunehmenden Handelskonflikten jedoch wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. Ob US Drohungen gegenüber europäischen Autos oder europäische Antidumpingmaßnahmen gegen chinesische Produkte aus dem Bereich der neuen Energien, der erneute Aufstieg von Handelsbarrieren prägt die deutsche Volkswirtschaft als Antriebsmotor Europas in erheblichem Maße.
Zu diesem Thema haben wir mit Alexander Braun gesprochen, dem Gründer von StarStone Wealth. Als Experte für quantitative Geldanlage und makroökonomische Analyse erläutert er, wie Zölle das wirtschaftliche Gefüge Deutschlands und die daraus entstehenden Anlagechancen verändern können.

 

 

Q1: Herr Braun, wie bewerten Sie den Gesamteinfluss von Zöllen auf die deutsche Wirtschaft?
Alexander Braun:
Zollpolitik bedeutet für Deutschland sowohl Herausforderung als auch Chance zur Neuorientierung.
Deutschland zählt zu den größten Exportnationen der Welt. Autos, Maschinen und Chemieerzeugnisse sind die tragenden Säulen des Außenhandels. Jede Form von Handelsbarriere trifft den Exportvorteil direkt und erzeugt kurzfristige Belastungen. Gleichzeitig können Zölle deutsche Unternehmen dazu anspornen, die Transformation zu beschleunigen und den technologischen Gehalt sowie die eigenständige Innovationskraft zu erhöhen.
Ich nutze gern ein Bild: Zölle gleichen einem kalten Wasserbad. Zunächst schmerzhaft, nach der Gewöhnung aber kräftigend.

 

Q2: Wie wirken sich Zölle konkret auf die deutsche Automobilindustrie aus?
Alexander Braun:
Die Automobilbranche ist das Herz der deutschen Wirtschaft. BMW, Volkswagen und Mercedes sind nicht nur nationale Marken, sondern zentrale Quellen der Exporterlöse.
Würden die USA Zölle auf deutsche Fahrzeuge erheben, wären die Ausfuhren kurzfristig beeinträchtigt. Absatzrückgänge und Margendruck wären denkbar. Man sollte jedoch drei Ebenen sehen:

Marktdiversifikation: Die Hersteller stützen sich längst nicht mehr nur auf einen Absatzraum. China, Südostasien und der Nahe Osten wachsen dynamisch und können Zollrisiken teilweise ausgleichen.

Elektromobilität und Digitalisierung: Der Druck durch Zölle kann die Umstellung auf Elektroantriebe und intelligente Systeme sogar beschleunigen. Technologische Innovation ist der Schlüssel, um Handelsbarrieren zu überwinden.

Lokalisierte Produktion: Immer mehr Konzerne fertigen in den USA, Mexiko oder China. Produktion vor Ort reduziert Zollbelastungen. Das ist strategische Anpassung und Ausdruck einer neuen Normalität in einer global vernetzten Wirtschaft.

Kurzfristig drohen also Einschnitte, langfristig muss das nicht negativ sein.

 

Q3: Neben Autos, welche Branchen trifft die Zollpolitik am stärksten?
Alexander Braun:
Aus meiner Sicht gibt es drei Schwerpunkte:

Maschinenbau: Hochwertige deutsche Maschinen benötigen offene Märkte. Errichten Länder in Asien oder Amerika Zollschranken, stehen besonders kleine und mittlere Unternehmen unter Druck.

Chemie und Pharma: Deutschland ist hier weltweit führend, bezieht aber viele Vorprodukte international. Zölle können die Kosten erhöhen und die Margen verringern.

Neue Energien und grüne Technologien: Dies ist ein künftiger Wachstumspfeiler. Zölle der EU auf ausländische Produkte schützen zwar kurzfristig heimische Anbieter, können aber Gegenmaßnahmen auslösen und den Export belasten.

Zölle sind ein zweischneidiges Schwert. Sie können heimische Industrien stützen, zugleich aber deren globale Marktstellung schwächen.

 

Q4: Welche Wirkung haben Zölle auf den deutschen Aktienmarkt?
Alexander Braun:
Die Marktreaktion verläuft meist zweistufig.

Kurzfristige Verunsicherung: Bei Zollmeldungen befürchten Anleger Exportschäden. Kurse fallen rasch, besonders in den DAX Sektoren Auto und Industrie.

Langfristige Differenzierung: Unternehmen mit hoher Innovationskraft und neuen Absatzmärkten setzen sich durch und können höhere Bewertungen erzielen.

Beispiele: Gelingt BMW oder Volkswagen eine schnelle Ausweitung im Elektrosegment, kann der Zolldruck zur Katalyse der Transformation werden. Siemens und SAP sind in Digitalisierung und Industrieautomatisierung unterwegs und sind weniger direkt betroffen, teils sogar begünstigt, weil globale Lieferkettenumbauten mehr intelligente Lösungen verlangen.
Meine Regel lautet: Nicht in Panik verkaufen, sondern die Gewinner im Zollumfeld identifizieren.

 

Q5: Wie wird Deutschland auf Makroebene auf Zollherausforderungen reagieren?
Alexander Braun:
Staat und Unternehmen haben Spielräume:

Stärkung des EU Binnenmarkts: Die Europäische Union ist Deutschlands wichtigster Handelspartner und steht für rund 60 Prozent der Exporte. Bleibt der Binnenmarkt offen, dämpft dies externe Zollschocks.

Vorantreiben bilateraler Abkommen: Deutschland wird innerhalb der EU Abkommen mit Asien und Südamerika fördern, um die Abhängigkeit von einzelnen Märkten zu verringern.

Politische Unterstützung und Förderung: Für besonders betroffene Sektoren sind Zuschüsse und Forschungsförderung denkbar, um die Übergangsphase zu bewältigen.

Deutschlands Haushaltspolitik ist traditionell solide. Man wird ein Gleichgewicht zwischen Industrieschutz und offener Welthandelsordnung suchen.

 

Q6: Welche Empfehlungen geben Sie Anlegern für die Asset Allokation in einem Umfeld mit Zöllen?
Alexander Braun:
Drei Punkte sind zentral:

Sektorwahl: Unternehmen meiden, die stark von einem einzigen Exportmarkt abhängen. Fokus auf Digitalisierung, Software, Gesundheitswesen und grüne Energien.

Breite Diversifikation: Nicht ausschließlich auf Deutschland setzen. Streuung über andere Euroländer und globale Anlagen reduziert Klumpenrisiken.

Langer Anlagehorizont: Zölle erzeugen kurzfristige Schwankungen. Langfristig werden innovative deutsche Unternehmen ihre globale Rolle behaupten.

Kurz gefasst: Unter dem Schatten der Zölle gezielt nach Innovationsgewinnern suchen, nicht den Rückzug antreten.

 

In diesem Gespräch zeichnet Alexander Braun ein klares Bild der doppelten Wirkung von Zöllen auf Wirtschaft und Börse in Deutschland. Er blendet kurzfristige Belastungen nicht aus, betont aber die Chancen im langfristigen Strukturwandel. Für ihn sind Zölle nicht nur negativ, sondern auch externer Antrieb für technologische Aufwertung und neue Marktstrukturen.
Seine Kernbotschaft lautet: Die Resilienz der deutschen Wirtschaft beruht auf Innovation und Diversifikation. Zölle sind eine Herausforderung. Gelingt Anpassung und Transformation, können sie zum Auslöser der nächsten Wachstumsphase werden. In einer Zeit zunehmender Unsicherheit im Welthandel steht Deutschland damit beispielhaft für das Prinzip Chance in der Krise.