Eine App für alle staatlichen Dienstleistungen: Das kann Deutschland von Griechenland lernen

Möchten Sie eine Vollmacht ausstellen? Ihr Auto anmelden? Oder vielleicht eine Lizenz zum gewerblichen Führen eines Schiffes beantragen? Viel Spaß im deutschen Behörden-Dschungel! Bei den meisten staatlichen Dienstleistungen führt hierzulande noch immer kein Weg am persönlichen Besuch auf dem Amt vorbei.

Doch nun soll alles besser werden. Seit einigen Monaten hat Deutschland zumindest schonmal ein Digitalministerium. Und dessen Chef hat große Pläne.

Die Bürger erwarteten zu Recht, „dass sie ihre wichtigsten Amtsgeschäfte von zu Hause digital erledigen können, statt um einen Termin zu kämpfen und dann mit 20 Dokumenten aufs Amt zu marschieren“, sagte Digitalminister Karsten Wildberger diese Woche im Interview mit dem Tagesspiegel.

Wie das gelingen kann? Vielleicht mit einem Blick über den deutschen Tellerrand hinaus. Wildberger sagte, viele Länder in Europa seien schon deutlich weiter. „Die haben zentrale Lösungen für eine digitale Verwaltung geschaffen.“

Eines dieser Länder ist Griechenland. Ausgerechnet in dem Land, das noch vor zehn Jahren kurz vor dem staatlichen Kollaps stand, können mittlerweile mehr als 2000 staatliche Dienstleistungen in einer einzigen App erledigt werden. Selbst die Beantragung einer Lizenz zum gewerblichen Führen eines Schiffes ist möglich.

Deutsche in Griechenland sind vom Tempo der Digitalisierung beeindruckt

Alexandros Papaioannou sitzt in einem großen Büro in seiner Dienstvilla am Rande des Berliner Tiergartens. Im Hintergrund läuft klassische Musik. Seit Anfang des Jahres ist er Griechenlands Botschafter in Deutschland.

„Bis vor ein paar Jahren musste man für jede Kleinigkeit mit einem riesigen Stapel Dokumente zum Amt gehen. Das war ein Albtraum“, sagt er. Inzwischen habe sich das radikal verändert. „Wir haben unsere Verwaltung innerhalb weniger Jahre vom 19. ins 21. Jahrhundert katapultiert. Das 20. Jahrhundert haben wir praktisch übersprungen.“ Papaioannou lacht. Man merkt ihm den Stolz an auf das, was erreicht wurde.

2019 wurde in Athen das Ministerium für digitale Transformation gegründet. Von da an ging es schnell. In der Pandemie gab es eine App, um Impftermine zu vereinbaren – ein erster Testlauf für die digitale Verwaltung. 2022 ging dann gov.gr an den Start und wird seither stetig weiter ausgebaut.

Auf der griechischen Plattform gov.gr lassen sich mehr als 2000 staatliche Dienstleistungen online erledigen.

© Jan Krüßmann / gov.gr

Diese digitale Revolution ist auch im Alltag von Jule Schmid und Axel Steinmüller angekommen. Vor vier Jahren sind sie von Sachsen-Anhalt nach Kreta ausgewandert.

„Unsere Steuernummer haben wir 2021 noch über einen Steuerberater beantragt. Das war sehr viel Papierkram“, sagt Steinmüller. Mittlerweile gehe das problemlos online. Auch das Tempo habe sich erhöht: „Wir haben damals über einen Monat auf die Ausstellung gewartet. Bekannte von uns hatten sie jetzt in unter einer Woche.“

Ein weiterer Vorteil: Man sei nicht länger der Laune griechischer Behördenmitarbeiter ausgeliefert. „Früher wurden wir von einer Amtsstube in die andere geschickt und mussten ständig neue Dokumente und Kopien vorlegen, obwohl man uns zuvor gesagt hatte, sie seien vollständig“, erzählen sie.

Jetzt ist alles transparent und an einem Ort gebündelt. „Wenn ich in Deutschland etwas von der Rentenversicherung oder vom Bürgerbüro in meiner Stadt möchte, haben die alle einzelne Seiten“, sagt Steinmüller. Das sei in Griechenland besser gelöst.

Auch Gabriele Günnewig Kraniotaki, die seit über 40 Jahren auf Kreta lebt, nutzt die App regelmäßig. Natürlich müsse man sich bewusst sein, dass viele persönliche Daten zentral gespeichert werden. Doch für sie überwiegen die Vorteile: „Ich finde, gov.gr ist ein echtes Erfolgsmodell.“

Digitalminister Wildberger setzt auf Vereinheitlichung

In seinem Berliner Büro zückt Botschafter Papaioannou sein Handy, klickt auf das blaue Icon der Bürgerapp und entsperrt sie per Face-ID. Alles ist auf einen Blick verfügbar: Sein Personalausweis, der Fahrzeugschein seines Autos, sogar der Betrag, den er dem Staat noch an Steuern schuldet: in seinem Fall sind es null Euro.

Wenn man nur das Vorgehen ins Netz verlagert, das man vorher auf Papier erledigt hat, ist nicht viel gewonnen. Man muss auch die Prozesse vereinfachen.

Für Griechenlands Botschafter in Deutschland, Alexandros Papaioannou, ist Bürokratieabbau der Schlüssel zum Erfolg beim Aufbau einer digitalen Verwaltung.

Was würde er dem deutschen Digitalminister raten, um ein ähnliches Produkt in Deutschland an den Start zu bringen? „Wenn jede Behörde ihre eigene Anwendung entwickelt, dann wird das ein furchtbares Chaos“, sagt er. Die entscheidende Frage sei daher: Wie bringt man alles zusammen? Überall müssten die gleichen Regeln gelten, sonst funktioniere es nicht.

Eine Erkenntnis, die sich auch bei Karsten Wildberger durchgesetzt hat. „Bisher hat jeder sein Ding gemacht. Oftmals sind Verfahren in einer Kommune 20 Kilometer weiter komplett anders gelöst“, sagte er dem Tagesspiegel. Damit müsse Schluss sein. Seine Aufgabe sei es daher auch, ein bisschen zu nerven.

In zwei Bundesländern möchte er demnächst Pilotprojekte für die digitale Verwaltung starten. Bis zum Ende der Wahlperiode soll dann eine deutliche Verbesserung zu spüren sein.

Auf die Frage, was Wildberger als Erstes tun sollte, sollte er das griechische Modell kopieren wollen, hat Papaioannou eine klare Antwort: Prozesse vereinfachen. „Wenn man nur das Vorgehen ins Netz verlagert, das man vorher auf Papier erledigt hat, ist nicht viel gewonnen“, sagt er. Ohne Bürokratieabbau könne es keine effiziente Digitalisierung geben.