Studie zu Nettokosten von Zuwanderung: So teuer ist Migration wirklich – und das bringt sie dem Staat ein

Für die deutsche Bevölkerung scheint die Sachlage klar zu sein: Mehr Migration bedeutet höhere Kosten. Zu diesem Ergebnis kam Anfang dieses Jahres zumindest eine repräsentative Umfrage der Bertelsmann-Stiftung.

Demnach erwarten 78 Prozent der Befragten Mehrkosten für den Staat durch Zuwanderung, 74 Prozent befürchten Wohnungsnot in Ballungsräumen und 71 Prozent sorgen sich um Probleme in den Schulen.

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Diese Lesart wirkt auf den ersten Blick logisch. Denn Zuwanderung heißt natürlich auch, dass der Staat Geld ausgeben muss. Er zahlt für Sprachkurse, Bildung, Unterkünfte oder Sozialleistungen. Und gerade bei Geflüchteten dauert es nachweislich oft länger, bis sie Arbeit finden.

Wäre es für Deutschland also besser, wenn es zukünftig weniger bis gar keine Migration mehr geben würde?

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Milliarden Euro im Jahr spart Deutschland nach den Berechnungen von Ökonom Martin Werding, wenn jährlich 200.000 zusätzliche Personen einwandern würden.

Dieser Frage ist nun der Ökonom Martin Werding im Rahmen einer Kurzstudie für den Mediendienst Integration nachgegangen. Darin kommt der „Wirtschaftsweise“, der an der Ruhr-Universität Bochum lehrt, zu einem überraschenden Ergebnis.

Sein Fazit: Würden jährlich 200.000 zusätzliche Personen nach Deutschland einwandern, spart der Staat auf Dauer rund 104 Milliarden Euro im Jahr. Der Effekt der Migration auf die Staatskasse, so Werding, sei „insgesamt positiv“.

Entlastung für den Fiskus

Nach Werdings Berechnungen, die auf dem im März 2024 veröffentlichten sechsten Tragfähigkeitsbericht des Bundesfinanzministeriums basieren, bringt jede einzelne Person dem Staat damit etwa 7100 Euro pro Jahr ein. Insbesondere die Erwerbszuwanderung entlaste die öffentlichen Finanzen, argumentiert Werding.

Seiner Studie lägen Daten zugrunde, die auch die vergleichsweise hohe Zahl an fluchtbedingter Zuwanderung berücksichtige. Die Ergebnisse blieben jedoch dieselben: Durch Migration fallen Bildungskosten weg, der Arbeitsmarkt wird entlastet, die Staatsausgaben gesenkt.

Das klingt fast zu gut, um wahr zu sein. Und schaut man sich aktuelle Zahlen an, wirken Werdings Berechnungen zumindest mit Blick auf den Arbeitsmarkt kontraintuitiv. Nach einer Erhebung der Bundesagentur für Arbeit steigt die Erwerbsquote unter Geflüchteten zwar mit jedem Jahr ihres Aufenthalts in Deutschland – etwa von 63 Prozent nach sieben Jahren auf 68 nach acht Jahren.

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Für die 2015 zugezogene Kohorte lag die Quote im Jahr 2022 unter den Männern bei 64 Prozent – 75 bei den Männern und nur 31 bei den Frauen. Das ist für sich genommen zwar ein gutes Ergebnis. Es bedeutet im Umkehrschluss aber auch, dass der Staat auch nach sieben Jahren noch für 36 Prozent der Eingereisten aufkommen musste. Eine nicht geringe Zahl.

Gleichzeitig gibt es durchaus Studien, die zu einem anderen Ergebnis kommen als Werding. Anfang 2024 hatte der Sozialwissenschaftler Bernd Raffelhüschen im Auftrag der Stiftung Marktwirtschaft eine Studie veröffentlicht, die zu dem Ergebnis kommt, dass Zuwanderung den Staat 5,8 Billionen Euro kosten würde.

Auch ausländische Fachkräfte würden den Sozialstaat nicht retten können, argumentiert Raffelhüschen. Dieser kam damals zu einem klaren Fazit: „Machen wir weiter wie bisher, sind wir dumm wie Stroh“, sagte er der „Bild“.

Negative Bilanz bei allen

Allerdings gab es an Raffelhüschens Studie schon kurz nach Erscheinen teils harsche Kritik: „Dieser Forschungsansatz geht davon aus, dass eine heutige Gesetzgebung in alle Ewigkeit fortgeschrieben wird“, sagte etwa der Düsseldorfer Ökonom Jens Südekum. Und wies darüber hinaus darauf hin, dass laut Raffelhüschens Studie selbst ein neugeborener Inländer über den restlichen Lebenszyklus eine negative fiskalische Bilanz vorweise.

Indirekt nimmt nun auch Martin Werding Bezug auf Raffelhüschens Arbeit. „Bisherige Berechnungen“, schreibt er im Vorwort seiner Studie, „werden oft missverstanden.“ Sie vernachlässigten nämlich „die Auswirkungen der Zuwanderung auf das Wirtschaftswachstum sowie die Frage, wann ihre fiskalischen Effekte anfallen“.

Tatsächlich weisen Experten seit Jahren darauf hin, dass Deutschland auf Zuwanderung angewiesen ist. Denn das Land wird immer älter. Es fehlt jungen Menschen, die arbeiten – und damit Steuern zahlen und in die Renten- und Krankenversicherungen einzahlen.

Zuwanderer, so die Argumentation, müssen diese Lücke schließen. Indem sie Jobs besetzen, für die es in Deutschland an Arbeitskräften fehlt. In der Pflege, im Handwerk, in der Baubranche.

Deshalb sei eine jährliche Zuwanderung von 300.000 bis 350.000 Menschen zu begrüßen, schreibt Werding in seiner Studie.

Das habe zudem einen positiven Effekt auf die Wirtschaft – und damit das Bruttoinlandsprodukt, so Werding. Dadurch nehme auch der Staat langfristig mehr ein. Jeder zusätzliche Zuwanderer, so Werding weiter, helfe also langfristig, das Verhältnis von Einnahmen und Ausgaben zu stabilisieren.

Dass Migration allein den deutschen Staatshaushalt sanieren könne, sei damit nicht gemeint, betont der Ökonom. Vielmehr sieht er das Hauptproblem an einer anderen Stelle: Der Staat gibt insgesamt mehr aus, als er einnimmt – vor allem wegen der alternden Gesellschaft. Für in Deutschland Geborene ebenso wie für Zugewanderte.