Zwischen Weltklub und Katalanismus: Camp Nou ist für den FC Barcelona mehr als ein Stadion
Der Weg zum Olympiastadion von Barcelona ist ein echter Hingucker. Vorbei am prachtvollen katalanischen Kunstmuseum geht es den Berg Montjuïc hinauf.
Die vielen Touristen genießen den atemberaubenden Blick über die Stadt, die einheimischen Fans des FC Barcelona sind eher missmutig. „Es wird Zeit, dass wir wieder ins Camp Nou zurückkehren“, sagt ein älterer Mann vor dem Champions-League-Spiel gegen Olympiakos Piräus Ende Oktober.
Dass dieser Wunsch mittlerweile in Erfüllung gegangen ist, war damals noch kaum vorstellbar. Kräne standen an der Stadionbaustelle, von außen sah es aus, als existiere bisher nur der Rohbau des katalanischen Fußballtempels. Die ursprünglich für 2024 geplante Wiedereröffnung war zu diesem Zeitpunkt schon mehrfach verschoben worden, wegen baulicher Verzögerungen und Einwänden der Stadtverwaltung.
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Am 22. November war es dann tatsächlich so weit. Gegen Athletic Bilbao gewann Barça vor 45.157 Zuschauenden im Camp Nou 4:0. „Willkommen zu Hause“, schrieb der Klub in seinen Sozialen Medien 909 Tage nach dem letzten echten Heimspiel am 28. Mai 2023.
„Es war für alle ein besonderes Spiel, hier zurück im Stadion zu sein. Es war ein unglaubliches Gefühl“, sagte Hansi Flick nach seinem ersten Spiel in Camp Nou. An diesem Dienstag (21 Uhr, Prime Video) kehren die Katalanen auch in der Champions League in ihr Stadion zurück. Gegner ist Eintracht Frankfurt.
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Barcelona gegen Frankfurt im Camp Nou – da war doch was? Genau! Auf dem Weg zum Titel in der Europa League gewann die Eintracht im April 2022 in Barcelona und zog ins Halbfinale ein. Fast noch schlimmer als die Niederlage war für die stolzen Katalanen jedoch die Invasion der Hessen, die den Auftritt im Camp Nou fast zu einem Heimspiel machten. 25.000 bis 30.000 Frankfurter Fans sollen damals im Stadion gewesen sein.
Damit sich eine solche gegnerische Übernahme nicht wiederholt, hat Barça strenge Maßnahmen eingeleitet. Abgesehen vom Gästeblock werden Tickets nur an Vereinsmitglieder verkauft. Ein Weiterverkauf ist untersagt und wird dadurch erschwert, dass die Eintrittskarten nur digital in der Mitglieder-App verfügbar sind. Vor dem Stadion soll es engmaschige Kontrollen geben. „So soll sichergestellt werden, dass sich das Stadion in einen Ort der Feier und Anfeuerung verwandelt“, schreibt der Klub in einem Statement, „exklusiv für Fans der Azulgrana“.
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Gewöhnliche Heimspiele sind nicht ganz so exklusiv. Der FC Barcelona gehört zu den bekanntesten Sportvereinen der Welt und ist schon lange eine eigene Marke. Rund um das Stadion sieht und hört man Menschen aus aller Herren Länder. Heimspiele von Barça sind gleichsam auch touristische Events.
Der Verein lebt im Spannungsfeld zwischen Weltklub und regionaler Identität. Während Stadtrivale Espanyol Barcelona lange der spanischen Regierung und dem Königshaus nahestand, wurde der Katalanismus schon wenige Jahre nach der Gründung 1899 zum Wesenskern von Barça. „Es ist kein Geheimnis, dass der FC Barcelona ein inbrünstiger Unterstützer der Freiheit für das katalanische Volk und seine Sprache ist“, schreibt der Verein auf seiner Homepage. „Die Präsidenten Gaspar Rosés und Joan Gamper haben das schon 1910 zur offiziellen Vereinspolitik gemacht.“
Je härter Madrid gegen die katalanischen Unabhängigkeitsbestrebungen vorging, desto mehr Zulauf bekam der Fußballverein. Vor mehr als 100 Jahren machte Barça Katalanisch zur offiziellen Sprache des Klubs – eines von vielen politischen Statements. Auch heute ist im Stadion fast ausschließlich Català zu hören und zu lesen.
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Als Flick vor wenigen Tagen gegen Alavés zum ersten Mal seit 1959 neun in Katalonien geborene Spieler, sieben davon aus der eigenen Talentschmiede La Masia, in die Startelf berief, wurde das von vielen Anhängern und Medien gefeiert wie ein Sieg.
Fußballvereine und ihre Fans haben fast alle ein inniges Verhältnis zu ihren Spielstätten. Für den FC Barcelona gilt dies vielleicht noch mehr, denn zumindest für die katalanischen Anhänger ist der Klub auch eine kulturelle, sprachliche und – in puncto Unabhängigkeitsbestrebungen – politische Heimat. Oder um es in leicht abgewandelter Form mit dem berühmten Klubmotto zu sagen: Das 1957 eingeweihte Camp Nou ist für Barça „més que un estadi“ – mehr als ein Stadion.
Auf das zweieinhalbjährige Exil im Olympiastadion haben sich viele Fans nur widerwillig eingelassen, andere sind den Spielen ganz ferngeblieben. Beim 6:1 gegen Piräus im Oktober blieben zahlreiche Plätze frei, obwohl das Stadion nur rund 50.000 Personen Platz bietet. Stimmung kam allein im Gästeblock und bei Toren auf.
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Gründe für die Ablehnung gab es viele. Die Verkehrsanbindung ist schlecht, das Stadion veraltet, die Akustik nicht gut und noch dazu wurde es für die Fans teurer. Da die Anzahl der Dauerkarten reduziert werden musste, waren viele Anhänger auf Tageskarten angewiesen – und diese sind bei Barça grundsätzlich teuer.
Bei der Rückkehr ins Camp Nou kostete das günstigste Ticket 199 Euro, gegen Frankfurt geht es „schon“ bei 59 Euro los. Zugelassen sind erneut nur 45.000 Fans, bis Jahresende sollen es mindestens 62.000 sein. Sobald der Umbau, der nach Medienschätzungen mehr als 1,4 Milliarden Euro kosten wird, beendet ist, werden 105.000 Zuschauer im neuen Camp Nou Platz finden.