Techno ist tot, aber die Leiche zuckt noch
Die Bullen kommen, der Spaß ist vorbei. In einer Rückblendenszene sieht man, wie der junge Polizist Freddy Schenk in Krokodilleder-Boots auf eine Techno-Party marschiert, um sie aufzulösen. Er war wohl damals schon eher Rocker als Raver. Es sind die frühen Neunziger, auf dem Plattenteller läuft WestBams »The Mayday Anthem« .
Mehr als 30 Jahre später hallen die Techno-Geister von einst durch diesen Oldschool-»Tatort«.
Ein Mittfünfziger liegt ermordet in seiner Wohnung, die mit ihren vielen Analogfotografien von zappelnden Körpern an den Wänden ein bisschen wie ein Techno-Museum aussieht. Bei ihren Untersuchungen des Tatorts schaltet Kriminaltechnikerin Natalie Förster (Tinka Fürst) die Anlage des Toten ein und schmeißt dann einsam im weißen Spusi-Schutzanzug zu Psytrance-Geballer ihren Körper hin und her. Falls Techno tot ist, zuckt seine Leiche noch ganz gut.
Der Mord im Heute steht in Verbindung mit Freddys Einsatz im Gestern. Auf der Party, die er im Jahr 1993 bei einem seiner ersten Einsätze auflöste, war auch das aktuelle Mordopfer mit seinen damaligen Freunden. Ihr Treffpunkt war eine Diskothek, so nannte man das damals noch, die im Restaurant des Fernmeldeturms Colonius über der Stadt lag. Damals verschwand eines der Mädchen, das zur Clique des jetzt getöteten Techno-Veterans gehörte.
Als Techno Mainstream wurde
Wo warst du, als WestBam den »Mayday« ausrief? Rührend, wie dieser »Tatort« (Regie: Charlotte Rolfes) anfänglich die Ära wachzurufen versucht, in der deutscher Techno ein Massenphänomen wurde. Mit dem Restaurantklub auf dem alten Colonius, der heute stillgelegt ist, haben die Verantwortlichen dafür ein starkes Setting gefunden.
In Form eines Verhörkrimis mit Rückblenden in die historische Zeit kommt das Lebensgefühl der damaligen Zeit aber doch irgendwie nicht zur Geltung.
Das Drehbuchduo Eva und Volker A. Zahn zeichnete bereits für den vorletzten Köln-Fall verantwortlich, der in einem Großbordell spielte. Wie dort wird auch jetzt die Rekonstruktion der Ereignisse multiperspektivisch aufgefächert: Schenk (Dietmar Bär) und Ballauf (Klaus J. Behrendt) lassen das alte Umfeld des Mordopfers und der Vermissten auflaufen.
Die inzwischen als Gastronomen oder Galeristinnen erfolgreichen Ex-Kumpels (Andreas Pietschmann, Thomas Loibl, Karoline Eichhorn) tun so, als ob sie sich nicht mehr kennen würden, verstricken sich aber zusehends in Widersprüche. Währenddessen wird in Rückblenden gezeigt, wie sie sich in jungen Jahren mit Eifersüchteleien und Egotrips (auf Pillen und Alkohol) auf dem Dach und in der Küche des Colonius gegenseitig das Leben schwer machen. Getanzt wird irgendwann nur noch sehr wenig, das ist schade.
Denn so verengt sich das Entfesselungsszenario recht vorhersehbar in ein Lehrstück über mangelndes Verantwortungsgefühl unter einstigen Techno-Jüngern, das der Rocker Schenk mit immer zornigeren Kommentaren begleitet. Fühlt sich an wie ein Begräbnis zweiter Klasse für den Techno.
Bewertung: 4 von 10 Punkten
»Tatort«: Colonius«, Sonntag, 20.15 Uhr, Das Erste
Szene mit Freddy Schenk (l.) und Klaus J. Behrendt: Zuckt die Leiche Techno noch?
Foto: Sandra Stein / WDR